Dossier #1: Grenzen

Sex als Zwangsarbeit

Der «Sonderbau» im KZ

Von Dominique Lysser

4. Juni 2019

Die Geschichte der Lagerbordelle für männliche Häftlinge in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern ist eine Geschichte von Ausgrenzungen. Mit aggressiver Sexualität hat sie wenig zu tun. Mit antifeministischen Geschlechterverhältnissen dafür umso mehr.

Für das nationalsozialistische Regime war klar: ohne die Zwangsarbeit von Millionen von KZ-Häftlingen würde die deutsche Wirtschaft zusammenbrechen. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 wurde die Rüstungsproduktion sehr wichtig. Besonders die Häftlinge in den Konzentrationslagern, die einen bedeutsamen Beitrag für die deutsche Kriegsindustrie leisteten, sollten noch produktiver arbeiten. Gedanken dazu, wie Häftlinge ökonomisch möglichst wirksam eingesetzt werden konnten, machte sich Heinrich Himmler, oberster Chef der Schutzstaffel (SS). Seine Lösung: ein Belohnungssystem, das als höchste Stufe Bordellbesuche für die privilegierten, hauptsächlich reichsdeutschen, männlichen Häftlinge vorsah. Oder anders formuliert: die sexuelle Ausbeutung weiblicher Häftlinge als Leistungsanreiz für die männlichen Mithäftlinge. Zusammen mit Oswald Pohl, Leiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes (WVHA), setzte Himmler diesen Plan um. Der erste solche «Sonderbau» wurde 1942 im KZ Mauthausen errichtet. Es folgten weitere Lagerbordelle in den Konzentrationslagern Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Auschwitz, Dachau, Neuengamme, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora. Eine erhöhte Arbeitsleistung der Häftlinge stellte sich dadurch allerdings nicht ein. Wieso war Himmler davon überzeugt, dass Bordellbesuche – im Kontext eines KZ – eine effektive Strategie zur Leistungssteigerung darstellte? Ein Blick auf die nationalsozialistische Sexual- und Bevölkerungspolitik gibt eine mögliche Antwort auf diese Frage.

Die Baracke 1 des ehemaligen KZ Mauthausen beherbergte seit 1942 das Lagerbordell.

Die Baracke 1 des ehemaligen KZ Mauthausen beherbergte seit 1942 das Lagerbordell. (Bild: Dominique Lysser, 2017)

Die ideale deutsche «Volksgemeinschaft»

Die Nationalsozialisten hatten eine kompromisslose Vorstellung von einer idealen deutschen «Volksgemeinschaft»: keine jüdischen Personen, keine Roma und Sinti, keine Homosexuellen, keine «Asozialen», keine politischen Gegner, keine psychisch Kranken, keine Menschen mit einer Behinderung. Die Liste der verfolgten Personengruppen war lang. Im Verständnis der Nazis waren nur «erbgesunde», heterosexuelle, «arische» Männer und Frauen vollwertige Menschen. Innerhalb dieser «Volksgemeinschaft» besetzten Mann und Frau klar definierte (Geschlechter-)Rollen und erfüllten klar definierte Aufgaben: Der «deutsche Mann» regierte über die Familie und über alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Das Ideal der «deutschen Frau» war die Ehefrau und Mutter vieler Kinder. Privatsphäre gab es nicht, zwischenmenschliche Beziehungen wurden staatlich kontrolliert. Abweichendes Verhalten stand unter Strafe, im schlimmsten Fall drohte KZ-Haft. Was als abweichendes, sogenanntes «asoziales» Verhalten interpretiert wurde, entschieden die Nazis. Prostitution etwa wurde als «asoziales» Verhalten interpretiert. Hitler selbst sah in der Prostitution eine «Schmach der Menschheit», die unbedingt abgeschafft werden sollte. Heinrich Himmler war anderer Meinung.

Über den Nutzen der Prostitution

Himmlers Auffassung nach war männliche Heterosexualität etwas «Natürliches», etwas Aktives und etwas für den NS-Staat Nützliches. Weibliche Sexualität hingegen war passiv und der männlichen untergeordnet. Wenn sie doch existierte, machte sich die Frau des «asozialen» Verhaltens schuldig. Und umgekehrt wurde «asoziales» Verhalten von Frauen grundsätzlich mit ihrer Sexualität begründet. Die Prostituierte war die Verkörperung von weiblicher «Asozialität». Es gab also den folgenschweren Unterschied zwischen Prostitution (nützlich und natürlich für die männliche Heterosexualität) und der Prostituierten («minderwertig» und gefährlich für die deutsche «Volksgemeinschaft»). Das Ziel der nationalsozialistischen Prostitutionspolitik war deshalb nicht deren komplette Abschaffung, sondern die totale Kontrolle: über die Prostitution und damit über die Prostituierten. Gesetze wurden erlassen, die regelmässige Gesundheitskontrollen für alle Prostituierten im Dritten Reich obligatorisch und das Versäumen von solchen Untersuchungen strafbar machten. Prostitution wurde zur staatlich regulierten Angelegenheit und das NS-Regime faktisch zum grössten Zuhälter des Dritten Reiches. Die Prostitution im KZ-Bordell war aber kein Tauschhandel von Sex gegen Geld, sondern sexuelle Ausbeutung unter Zwang: Sex als Zwangsarbeit.

Sex als Zwangsarbeit

Die Frauen, die in diesen Bordellen Sex-Zwangsarbeit verrichten mussten, waren Häftlinge aus dem Frauen-KZ Ravensbrück. Die meisten von ihnen trugen den schwarzen Winkel, das Erkennungszeichen der «Asozialen», das die Häftlinge auf ihre Häftlingskleidung aufnähen mussten. Sie hatten die Möglichkeit, sich «freiwillig» für das Arbeitskommando «Sonderbau» zu melden. Als Anreiz wurde ihnen nach einem sechsmonatigen Dienst im Bordell die Freilassung versprochen. Eine wichtige Anmerkung an dieser Stelle: Freiwilligkeit gibt es in einem Konzentrationslager nicht. Das Versprechen wurde nie eingehalten, der Mythos der «freiwilligen Meldung» hielt sich aber hartnäckig. Und mit ihm die Vorstellung, das Leben als Sex-Zwangsarbeiterin im KZ-Bordell wäre ein angenehmes gewesen. Es stimmt, dass die Lebensumstände der Häftlingsfrauen, die im «Sonderbau» arbeiteten, vergleichsweise besser und ihre Überlebenschancen höher waren. Einige der Frauen sahen in ihrer Meldung für das Sonderkommando eine Möglichkeit, die KZ-Haft zu überleben. Andere erfuhren erst vor Ort, welcher Art die Arbeit im «Sonderbau» war. So erinnerte sich Linda Bachmann in einem Interview 1991 an ihre Zeit im Lagerbordell im KZ Mittelbau-Dora: 

«Wir haben uns unserem Schicksal gefügt. Wir haben immer gesagt: Immer noch besser als in Ravensbrück oder Bergen-Belsen. Was sollen Sie machen? Wollen Sie sich dagegen wehren? Wir haben schon so viel gemacht. Also innerlich, da war es natürlich ein Schock. Wir waren durch das Ganze schon so abgestumpft.»

Hinter den verbesserten Lebensumständen der Sex-Zwangsarbeiterinnen steckte eine Kosten-Nutzenrechnung: Damit die abgemagerten «freiwilligen» Häftlingsfrauen sexuell ausgebeutet werden konnten, mussten sie zuerst wieder wie gesunde Frauen aussehen. Diese forcierte Re-Sexualisierung bedeutete besseres Essen, Zivilkleidung und lange Haare. Die persönliche Hygiene dieser Frauen und auch der Bordellbesucher wurde genauestens kontrolliert. Der Bordellbetrieb wurde streng überwacht und alles penibel dokumentiert.

Ausgegrenzt – damals ...

Als ehemalige Häftlinge mit dem schwarzen Winkel der «Asozialen» waren die Sex-Zwangsarbeiterinnen auch nach Kriegsende Stigmatisierungen ausgesetzt. So schrieb beispielsweise der ehemalige Buchenwaldhäftling Eugen Kogon in seinem bekannten Werk «Der SS-Staat» von 1946 über die Häftlingsfrauen in den Lagerbordellen: 

«Die mitgebrachten Krankenblätter wiesen immerhin überstandene Krankheiten von einer Art aus, die nicht gerade einen übermässig seriösen Lebenswandel ihrer Vor-KL-Zeit [Vor-Konzentrationslager-Zeit] dokumentierte. Bis auf wenige Ausnahmen haben sie sich in ihr Schicksal ziemlich hemmungslos gefügt.»

Das nationalsozialistische Unterdrückungs- und Vernichtungsunternehmen basierte auf klaren Grenzziehungen: Wer nicht zur deutschen «Volksgemeinschaft» dazugehörte, wurde selektiert, kontrolliert, inhaftiert, verfolgt und/​oder getötet. Viel unklarer war, wie man nach 1945 mit diesen scharf gezogenen Grenzen in der deutschen Gesellschaft umgehen sollte. Das Thema der Sex-Zwangsarbeit war lange Zeit ein Tabu. Für die betroffenen Frauen war es fast unmöglich, über ihre Erfahrungen zu sprechen oder Entschädigungszahlungen für ihre KZ-Haft einzufordern.

... und heute?

Die Vorurteile gegenüber «asozialen» Menschen als Menschen zweiter Klasse prägten und prägen auch heute noch unsere Wahrnehmung von bestimmten Personengruppen. Sexuelle und sexualisierte Gewalt gegen Frauen ist auch heute noch ein schwieriges und bisweilen tabuisiertes Thema, das unsere zeitgenössischen Gesellschaften beschäftigt und beschäftigen sollte. Unser Menschenbild beeinflusst den Blick, den wir auf die Vergangenheit werfen, die Geschichten, die wir erforschen und die Art, wie wir sie erzählen. Geschichte ist immer ein Produkt der Gegenwart und der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die sie geschaffen hat. Das heisst, die Frage, wer welche Geschichte schreibt, ist ebenso wichtig wie die Frage, was zu welchem Zeitpunkt geschehen ist.

Häftlingsbordelle in NS-Konzentrationslagern

Zwischen 1943 und 1945 wurden auf Befehl Heinrich Himmlers in zehn Konzentrationslagern in Deutschland, Österreich und Polen Lagerbordelle errichtet mit dem Ziel, die Arbeitsproduktivität der männlichen Häftlinge zu steigern. Dieses Prämiensystem berücksichtigte hauptsächlich die privilegierten Häftlinge, sogenannte Funktionshäftlinge. Diese standen an der Spitze der Lagerhierarchie und arbeiteten in der Lagerverwaltung. Geschätzte 210 weibliche Häftlinge aus dem Frauen-KZ Ravensbrück wurden in den sogenannten «Sonderbauten» sexuell ausgebeutet. Die Mehrheit der Sex-Zwangsarbeiterinnen waren nicht-jüdische Frauen reichsdeutscher Herkunft. Die Thematik der Sex-Zwangsarbeit war lange Zeit ein Tabu. Seit Mitte der 1990er Jahre widmen sich Historiker*innen der Geschichte der Sex-Zwangsarbeit und den Lagerbordellen. Es gibt aber auch heute noch Forschungslücken zum Thema der geschlechterspezifischen Gewalt im nationalsozialistischen KZ- und Gewaltsystem.

Literatur

  • Alakus, Baris; Kniefacz, Katharina; Vorberg, Robert (Hg.): Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Wien 2007.
  • Amesberger, Helga; Auer, Katrin; Halbmayr, Brigitte (Hrsg.), Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern, Wien 2010.
  • Eschebach, Insa; Mühlhäuser, Regina (Hg.): Krieg und Geschlecht. Sexuelle Gewalt im Krieg und Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslager, Berlin 2008.
  • Paul, Christa: Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus, Berlin 1994.
  • Sommer, Robert: Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Paderborn; München; Wien; Zürich 2009.

Zu Dominique Lysser

Dominique Lysser studierte sowohl im Bachelor wie auch aktuell im Master Zeitgeschichte sowie Englische Sprache und Literatur an der Universität Freiburg. Sie interessiert sich besonders für Fragen der Public History: Wie landet Geschichte im Museum?