Dossier #1: Grenzen

Heirate keine Katholikin!

Mischehen gestern und heute

Von Matthias Schmuki

25. Mai 2019

Heiraten war bis weit ins 20. Jahrhundert keine freie Entscheidung. Die Kirchen zogen eine klare Grenze zwischen einem passenden und unpassenden Ehepartner.


Bis weit ins 20. Jahrhundert teilte eine unsichtbare Grenze die Schweizer Gesellschaft, die Grenze der Konfession. Katholiken und Protestanten lebten mehr nebeneinander als miteinander. Diese Grenze bestimmte nicht nur das öffentliche Leben, sondern prägte auch intime Entscheidungen – etwa, wen man heiratete.

Die konfessionell gespaltene Schweiz und das «katholische Ghetto»

Die Reformation war eines der wichtigsten Ereignisse der Schweizer Geschichte. Seither verläuft eine unsichtbare konfessionelle Grenze durch die Schweiz. Die Spaltung zwischen Protestanten und Katholiken führte immer wieder zu innenpolitischen Spannungen. Zwar gab es keine vollständige konfessionelle Trennung. Grundsätzlich galt aber bis Mitte des 20. Jahrhunderts: Protestanten und Katholiken besuchten andere Schulen, lasen verschiedene Zeitungen, hatten getrennte Vereine und auch bei politischen Wahlen war die Konfession ein bestimmender Faktor.

Die wirtschaftliche und politische Elite der Schweiz bestand grösstenteils aus Protestanten. Die Katholiken waren in den ersten 100 Jahren des Schweizer Bundesstaates, das heisst bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, in der Verwaltung, in der Armee und in den Unternehmensleitungen unterrepräsentiert. Ihre Loyalität gegenüber dem Schweizer Bundesstaat wurde von Teilen der protestantischen Schweiz immer wieder angezweifelt. Die Katholiken und Katholikinnen waren eine sozial, ökonomisch und politisch marginalisierte Gruppe. Der Historiker Urs Altermatt spricht deshalb auch vom «katholischen Ghetto».

Das «Problem» der Mischehen und die Haltung der Kirchen

Der konfessionelle Graben wirkte sich stark auf das Privatleben der Schweizer und Schweizerinnen aus und floss in die intimsten Lebensentscheidungen mit ein. Dies zeigt sich an der – aus heutiger Sicht erstaunlich intensiven – Debatte um die sogenannten Mischehen. Ehen zwischen Protestanten und Katholikinnen sowie umgekehrt waren in der Schweiz bis Mitte des 20. Jahrhunderts verpönt. Im Jahr 1880 lag der Anteil an konfessionellen Mischehen in der Schweiz bei lediglich 5%. Es gab aber enorme regionale Unterschiede: Während die interkonfessionellen Ehen im Kanton Basel-Stadt 22% aller Ehen ausmachten, stellten Mischehen in den katholischen Kantonen Wallis und Obwalden die ganz grosse Ausnahme dar (je nur 0.5%).

Die Kirchen beider Konfessionen betrachteten die Mischehen als Problem. Das hatte u. a. damit zu tun, dass diese Glaubensrichtungen unterschiedliche Vorstellungen von der Ehe haben. Gemäss der katholischen Lehre ist die Ehe ein Sakrament und ist unauflöslich. Die protestantische Kirche beansprucht hingegen keine Deutungshoheit über die Ehe, sondern überlässt die Frage der Gültigkeit der Ehe dem staatlichen Recht. Die Ablehnung der Mischehe hatte aber noch tiefere Gründe: Welcher Konfession würden die Kinder einer Mischehe angehören? Diese Frage beschäftigte die Kirchen beider Konfessionen, denn es ging hier schliesslich um ihre Zukunft. Beide Konfessionen befürchteten, dass eine grössere Toleranz der Mischehe ihre Mitgliederzahl verkleinern würde.

Gemäss katholischem Kirchenrecht war eine Mischehe nur in Ausnahmefällen möglich. Bei einer Eheschliessung vor einem nichtkatholischen Priester drohte die Exkommunikation, d. h. der Ausschluss aus der katholischen Kirche. Zwar gab es auf protestantischer Seite nicht so harte Regeln, die protestantischen Pfarrer weigerten sich aber zumeist eine Heirat durchzuführen, falls bereits eine katholische Trauung stattgefunden hatte oder die Kinder katholisch erzogen werden sollten. Die strenge Haltung der Kirchen führte dazu, dass bei vielen Paaren eine Person für die Heirat die Konfession wechselte, um keine Mischehe eingehen zu müssen.

Die Werbung gegen die Mischehe

Beide Kirchen betrieben Werbung gegen die Mischehe. In Zeitungsartikeln und Broschüren wurde die Mischehe verurteilt. Die Pfarrer sollten die Jugendlichen ihrer Gemeinde vor der Gefahr der Mischehe warnen: Am besten solle man bereits beim ersten Rendez-vous nach der Konfession des Andern fragen. Damit sollte verhindert werden, dass man sich nicht in einen Andersgläubigen oder eine Andersgläubige verliebt.

Erste Seite eines Flugblattes gegen die Mischehe. Schweizerischer protestantischer Volksbund: Mischehen, Zürich 1934.

Erste Seite eines Flugblattes gegen die Mischehe. Schweizerischer protestantischer Volksbund: Mischehen, Zürich 1934.


Als Beispiel: Die oben abgebildete Broschüre des Schweizerischen Protestantischen Volksbundes sagte der Mischehe kein glückliches Ende voraus. Die katholischen Priester würden sich immer in die Ehe einmischen und so könne keine enge Beziehung zum Ehepartner bzw. zur Ehepartnerin und zu den Kindern Bestand haben: «Hast du bedacht […], dass deine Kinder einmal angeleitet werden, dich für verwirrt und verloren anzusehen? Wie leicht kann das alles früher oder später einen bösen Riss in das Familienleben bringen und eine Zeit kommen, wo du dich in deiner eigenen Häuslichkeit innerlich völlig einsam fühlen wirst.»

Zwischen den Konfessionen herrschte auch Einigkeit darüber, welche Konfession die Kinder im unglücklichen Falle einer Mischehe haben sollten, nämlich die der Frau. Das Argument dahinter ist dem damaligen Frauenbild geschuldet. Gemäss den Geschlechterrollen dieser Zeit war die Erziehung der Kinder Sache der Frau. Die Kirchen hielten es deshalb für problematisch, wenn die Kinder nicht der gleichen Konfession wie die Mutter angehörten.

Die Grenze weicht sich auf

Die Grenze zwischen Protestanten und Katholiken verlor im Laufe des 20. Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung. Das «katholische Ghetto» und die Marginalisierung der Katholiken und Katholikinnen löste sich nach und nach auf. Auch die Positionen der Kirchen lockerten sich etwas. Ab 1970 waren nun auch ökumenische Heiratszeremonien möglich, das heisst Eheschliessungen, an der sowohl ein katholischer als auch ein protestantischer Pfarrer teilnahmen.

Der Historiker Christof Kaufmann hat die Mischehen im katholisch geprägten Entlebuch (LU) im 20. Jahrhundert untersucht. Alle interviewten Personen, die eine Mischehe eingegangen sind, berichteten vom Druck der Eltern vor der Heirat. Die Eltern wollten erreichen, dass ihr Kind nicht seinen Geliebten bzw. seine Geliebte heiratet, sondern jemanden mit der gleichen Konfession. Eine protestantische Frau erzählte, dass sie gar nicht den Mut hatte, den Eltern ihren katholischen Freund vorzustellen, und dass sie deshalb die Beziehung abbrach. Anders als die kirchliche Werbung gegen die Mischehe behauptete, löste die unterschiedliche Konfession aber keinen Streit zwischen den Ehepartnern aus. Gemäss den interviewten Personen gab es nur mit dem sozialen Umfeld Konflikte. Ab den 1980er Jahren galt die Mischehe auch im Entlebuch nicht mehr als unüblich.

Hast du bedacht […], dass deine Kinder einmal angeleitet werden, dich für verwirrt und verloren anzusehen? Wie leicht kann das alles früher oder später einen bösen Riss in das Familienleben bringen und eine Zeit kommen, wo du dich in deiner eigenen Häuslichkeit innerlich völlig einsam fühlen wirst.
Flugblatt gegen die Mischehe. Schweizerischer protestantischer Volksbund: Mischehen, Zürich 1934

Heiraten und religiöse Grenzen heute

Aus heutiger Perspektive erscheint die Debatte um die Mischehe befremdend. Ein Blick in die Statistik verrät, dass man dennoch nicht behaupten kann, dass die Religion heute gar keine Rolle mehr spiele. Rund die Hälfte der Personen, die im Jahr 2017 heirateten, wählten eine Person der gleichen Konfession. Bei einigen Glaubensrichtungen liegt dieser Anteil noch wesentlich höher.

Konfessionelle Grenzen – und kulturelle Grenzen im Allgemeinen – können, obwohl sie unsichtbar sind, einen grossen Einfluss auf das Leben der Menschen haben. Auch in einem Staat, der sich als liberale Demokratie versteht, wie der Schweiz ab 1848, können Grenzen existieren, die persönliche Lebensentscheidungen stark einschränken. Grenzen sind jedoch nicht unüberwindbar. Selbst in Regionen, wo ein starker sozialer Druck vorhanden war, gab es – wenn auch nur wenige – Paare, die über die konfessionelle Grenze hinweg heirateten. Grenzen sind auch nicht statisch. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten können zuvor mächtige Grenzen verblassen. Grenzen sind immer nur so stark wie der Glaube einer Gesellschaft daran.

Quellen

  • Bundesamt für Statistik, Heiraten nach gegenseitiger Konfession, 1991 – 2017, 28.06.2018, https://​www​.bfs​.admin​.ch/​bfs/d…, Stand: 18.01.2019.
  • Candolfi, Joseph: Les Mariages mixtes en Suisse, Solothurn 1951.
  • Herrmann, Eugen: Mischehe — heute. Ein Büchlein, das orientieren, klären und helfen möchte, Basel 1964.
  • Schweizerischer protestantischer Volksbund: Mischehen, Zürich 1934.

Sekundärliteratur

  • Altermatt, Urs: Der Weg der Schweizer Katholiken ins Ghetto. Die Entstehungsgeschichte der nationalen Volksorganisationen im Schweizer Katholizismus 1848 – 1919, Zürich; Einsiedeln; Köln 1972.
  • Altermatt, Urs: Katholizismus und Moderne. Zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Schweizer Katholiken im 19. und 20. Jahrhundert, Zürich 1989.
  • Bovay, Claude; Broquet, Raphaël: Le paysage religieux en Suisse, Neuenburg 2004.
  • Head-König, Anne-Lise: Mischehen, Historisches Lexikon der Schweiz, 10.11.2009, http://​www​.hls​-dhs​-dss​.ch/text…, Stand: 21.01.2019.
  • Heintel, Martin; Musil, Robert; Weixlbaumer, Norbert (Hg.): Theoretische, konzeptionelle und praxisbezogene Fragestellungen zu Grenzen und deren Überschreitungen, Wiesbaden 2018.
  • Kaufmann, Christof: Und sie trauten sich doch. Konfessionsverschiedene Ehen im Entlebuch im 20. Jahrhundert, Freiburg i. Üe. 2007 (Religion – Politik – Gesellschaft in der Schweiz, 44).
  • Komlosy, Andrea: Grenzen. Räumliche und soziale Trennlinien im Zeitenlauf, Wien 2018.
  • Schöpsdau, Walter: Konfessionsverschiedene Ehe. Ein Handbuch: Kommentar und Dokumente zu Seelsorge, Theologie und Recht der Kirchen, Göttingen 1953.

Links

Zu Matthias Schmuki

Matthias Schmuki hat einen Master in Geschichte an der Universität Freiburg abgeschlossen. Gegenwärtig studiert er Volkswirtschaftslehre und absolviert die Ausbildung zum Lehrdiplom für Maturitätsschulen, beides ebenfalls an der Universität Freiburg. Die Schwerpunkte seines Forschungsinteresses sind die Kultur- und Politikgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, die historische Feindbildforschung, politische Philosophie, Ethik, ökonomische Theorie und Entwicklungsökonomie.