Leidenschaftlicher Weingenuss, erotische Körperlichkeit und ausgelassenes Feiern. Der antike Dionysos-Mythos kultivierte Grenzüberschreitungen der bürgerlichen Normen und war jahrhundertelang ein beliebtes Motiv in der bildenden Kunst.
Pralle Satyrn und schöne Mänaden, geschmückt mit Kronen aus Efeu, feiern zu den edlen Klängen von Doppelflöten und Zimbeln, im rhythmischen Takt der Tamburine. Sie führen einen prachtvollen Triumphzug zu Ehren des Gottes Dionysos an, der weit zurück bis zum Waldrand der italienischen Campagna reicht. Die einen tanzen vergnügt, andere tragen Weinkrüge herbei und wieder andere haben sich nach dem genüsslichen Trunk auf einem Bett aus Laubblättern hingelegt. So beispielsweise auch der betrunkene Zecher im rechten Bildrand, der die unerfreulichen Begleiterscheinungen des Alkoholgenusses im Rausch unterschätzt hatte. Im Vordergrund hält sich Silenos, ein mythologisches Mischwesen aus dem Stamm der Silene, nur mit grösster Mühe auf dem Rücken seines Esels. Die Stimmung ist ausgelassen, die fülligen und halbnackten Körper schmiegen sich schamlos aneinander und werden zur Schau gestellt.
Die Körper wirken überproportioniert, dynamisch und entsprechen dem typischen barocken Malstil des 17. Jahrhunderts. Nicht nur die Dynamik der Figuren, sondern auch die zwei Eroten mit Kranz, Trauben und Pokal stehen für die körperliche Liebe und grenzenlose Erotik. In der Mitte erscheint der Gott Dionysos thronend auf seinem von Raubkatzen gezogenen Wagen mit einer Efeukrone und einem Thyrsos, welcher in der griechischen Mythologie eines seiner wichtigsten Attribute darstellt. Der Thyrsos ist der lange von Efeu überwucherte Stab unmittelbar neben Dionysos. Der Gott des Weines und des Rausches sitzt in Gestalt eines idealisierten Jünglings anmutig auf seinem Streitwagen, während sich sein Gefolge in unkontrollierter Art und Weise dem Rausch und der Ekstase hingibt. Gelassen lädt er zum Fest ein, bietet den Geladenen ein genussvolles Erlebnis und wacht dabei in dominierender Ruhe selbstzufrieden über die Szene. Seine Nüchternheit überrascht in Anbetracht des bunten Triumphzuges seiner Gefolgschaft.
Die soeben geschilderte Szene beschreibt das Bild «Triumphzug des Bacchus» des niederländischen Malers Moyses van Uyttenbroeck, welches er im Jahr 1627 fertigstellte. Bacchus ist der lateinische Name des griechischen Gottes Dionysos, der im antiken Rom geläufig war. Van Uyttenbroecks Gesamtwerk umfasst vor allem Gemälde zu zwei Themenkreisen: die Geschichten aus der griechischen Mythologie und aus dem Alten Testament. Zahlreiche Künstler*innen knüpften immer wieder an die antike Philosophie, das antike Schönheitsideal, die antike Architektur und Kunst der Griechen und Römer an. So liess sich ebenfalls der gebildete Maler van Uyttenbroeck von den antiken Texten inspirieren und erschuf zahlreiche Gemälde, Radierungen und Zeichnungen mit mythologischem Inhalt. Den Metamorphosen Ovids, einer der wichtigsten Gedichtsammlungen aus der Antike, galt wohl seine grösste Vorliebe. Der «Triumphzug des Bacchus» ähnelt gleich in mehreren Elementen Ovids Schilderung dieser Geschichte in den Metamorphosen. Besonders gut zur Geltung kommt die strahlende Schönheit des jugendlichen Weingottes gegenüber seinem Gefolge, wie Ovid sie im antiken Gedicht detailliert beschreibt. Auch die Figur des Silenos nimmt in van Uyttenbroecks Bild die Haltung ein, die ihm Ovid zuschreibt: er umklammere «schneidig und nicht eben» den Bauch des Esels. Die Bildmotive van Uyttenbroecks folgen eng dem Wortlaut Ovids (4,25−30):
«Bacchantinnen folgen und Satyren / Und der trunkene Greis: auf gebogenem Rücken des Esels / Hangt er lose, die schwankenden Glieder gestützt mit dem Rohre / Wo du erscheinst, erschallt der Jünglinge Schreien, und Frauen / Stimmen mit ein; Tambourine ertönen, von Händen geschlagen, / Becken gebogener Form und längliche Flöten aus Buchsbaum.»
Die Gestalten im dionysischen Triumphzug zeigen die lösende und entfesselnde Wirkung des Weingenusses. Zudem symbolisieren die nackten Körper und die Darstellung der Eroten Sinnlichkeit und Triebhaftigkeit. Die bildliche Erotik und der ekstatische Weingenuss in van Uyttenbroecks «Triumphzug des Bacchus» haben die Betrachter*innen in dieser Zeit ins Staunen versetzt. Bis dahin wurden Themen wie körperliche Liebe und profaner Lebensgenuss weitgehend kritisiert. Die gesellschaftlichen Wertevorstellungen beruhten in jener Zeit auf einer moralisch-theologischen Verurteilung aller sinnlichen Genüsse. Der Humanismus – das seit dem 15. Jahrhundert neue Interesse für die Eigenschaften des Menschseins – gab in der frühneuzeitlichen Gesellschaft nicht nur Impulse für die Ethik, Moral und Philosophie, sondern verstärkte auch eine Rückbesinnung auf die Körperlichkeit und Erotik des Menschen, wie sie in der Antike präsent gewesen waren. Die Künstler*innen mussten nicht mehr darauf Rücksicht nehmen, in ihren Bildern keusche Enthaltsamkeit darzustellen. Diese aufkommende Toleranz der Körperlichkeit im Humanismus wurde in der barocken niederländischen Bildtradition aufgegriffen und fortgeführt – in van Uyttenbroecks Malstil erkennen wir sie deutlich wieder.
Wollte Van Uyttenbroeck auf die Vergänglichkeit profanen Lebensgenusses hinweisen, wie das einer barocken Lebenshaltung entspricht? Mahnen die betrunkenen Satyre zum massvollen Umgang mit Alkohol? Wohl kaum. Van Uyttenbrock wirkt mit seinem Bild weder moralisch belehrend noch ermahnend, sondern weckt bei den Betrachtenden den Wunsch, Teil dieser utopischen Welt von Genuss, Rausch und Glückseligkeit zu sein. Der Gott des Weins – Dionysos – wird nicht grundlos als Bildmotiv eingesetzt: Kaum ein anderer Gott der zahlreichen Götter im antiken Griechenland ist den Menschen so nah erfahrbar wie er. Affekte wie Triebhaftigkeit und Lebenslust entsprechen noch heute den grundlegenden menschlichen Emotionen. So auch die Sehnsucht nach bewusstseinserweiternden Glücksempfindungen, welche den Verstand ausser Gefecht setzen. Die Welt der griechischen Mythologie ist trotz idealer Züge mit der menschlichen Welt stark verknüpft. Obwohl der Rausch seit der Antike zum Menschsein dazugehört, wird er nicht selten durch eine vorherrschende rationale und aufklärungsorientierte Gesellschaft unterdrückt. Sollten die dionysischen Ideen nicht für unsere Gesellschaft aktualisiert werden? Die Welt des Dionysos ist bekanntlich durchaus reizvoll: Bestehende Gesetze und Moralvorstellungen scheinen nicht zu gelten, jeder und jede lässt sich nach Lust und Laune gehen. Als Gott des Weins und der Liebe verkörpert Dionysos sorglose Ausgelassenheit, die in heutiger Zeit oft zu kurz kommt.
Mänaden (Griechisch für Rasende) sind die mythischen Begleiterinnen von Dionysos. Sie werden auch Thyiaden genannt. Sie sind Bestandteil des Mänadismus, einem Ritus der Ekstase, welcher auf nächtlichen Umzügen durchs Gebirge praktiziert wird. Mänaden tragen meist ein Tierfell, Schlangen, Fackeln und einen mit Efeu geschmückten Thyrsos.
Satyrn sind Naturdämonen und Teil des dionysischen Gefolges. Die Mischwesen sind bekannt für ihre übermütige Lüsternheit und bedrängen in antiken Darstellungen oft schöne Nymphen und Mänaden.
Silene sind ähnlich wie die Satyrn zweibeinige Naturdämonen. Die menschenähnlichen Mischwesen sind meist mit Füssen, Schweif und Ohren eines Pferdes dargestellt. Der Aulos, ein Doppelrohrblattinstrument mit lautem Klang, ist ihr typisches Musikinstrument.
Silenos bezeichnet eine wichtige Figur aus dem Geschlecht der Silene. Er gilt in der griechischen Mythologie als Erzieher von Dionysos. Hermes übergibt ihm und den Nymphen von Nysa den jungen Dionysos zur Erziehung.
Groos, Ulrike: Dionysos. Antiker Gott der Ekstase, in: Groos, Ulrike; Müller, Markus; Vieth, Anne; Waldmeier, Martin und Zimmer, Nina (Hg.): Ekstase in Kunst, Musik, Tanz. Ecstasy in Art, Music, and Dance, München 2018, S. 36 – 63.
Holzberg, Niklas (Hg.): Metamorphosen, Berlin 2017.
Philipp, Michael (Hg.): Dionysos. Rausch und Ekstase, München 2013.
Weisner, Ulrich (Hg.): Moyses van Uyttenbroeck. Studien und kritischer Katalog seiner Gemälde und Zeichnungen, Kiel 1963.
Julia Tschopp studiert im letzten Bachelorsemester Kunstgeschichte und Theologie an der Universität Bern. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Geschichte und Denkmalpflege der mittelalterlichen Architektur und Skulptur sowie der neuzeitlichen Antikenrezeption in der bildenden Kunst.