Olympische Spiele 1968 in Mexico City. Zwei US-amerikanische Leichtathleten strecken bei ihrer Siegerehrung zum Protest die Fäuste in die Luft. Das Bild ging nicht nur in die Sportgeschichte ein, sondern steht auch symbolisch für die Bürgerrechtsbewegung.
Der Weltrekord ist gebrochen. Mit 19,38 Sekunden ist Tommie Smith offiziell der schnellste Mann der Welt. Genauso schnell ist er in die Weltgeschichte eingegangen. Doch nicht als Rekordhalter, wie man denken könnte, sondern als Mann des Protests.
Der US-Amerikaner wurde am 16. Oktober 1968 zum ersten Mann der Geschichte, der die 200 Meter in einer Zeit von weniger als 20 Sekunden gelaufen ist. Ein Rekord, der für die nächsten elf Jahre ungebrochen blieb. Das ausschlaggebende Ereignis passierte aber bei der Siegerehrung, als im Stadion die amerikanische Nationalhymne «The Star Spangled Banner» erklang. Das Podium betrat zuerst auf dem dritten Platz John Carlos aus den USA, dicht gefolgt vom zweitplatzierten Australier Peter Norman und zu guter Letzt, auf dem ersten Platz und ebenfalls aus den USA, Tommie Smith. Die Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika wehte dabei im Wind. Die zwei Afroamerikaner Carlos und Smith standen ohne Schuhe, nur in schwarzen Strümpfen auf dem Podest und an ihren Trainingsjacken hing jeweils ein Button des «Olympic Project for Human Rights». Als die ersten Klänge der Nationalhymne zu hören waren, streckten die beiden Athleten ihre jeweils mit einem schwarzen Handschuh bedeckten Fäuste – bei Smith war es die rechte, bei Carlos die linke – in die Luft. Tommie Smith trug zusätzlich ein schwarzes Halstuch. Mit dieser symbolischen «Silent Gesture» bestrebten sie, die Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner*innen in den USA zu unterstützen.
Später erklärte Smith die Aktion folgendermassen:
«I wore a black right-hand glove and Carlos wore the left-hand glove of the same pair. My raised right hand stood for the power in black America. Carlos’ raised left hand stood for unity of black America. Together they formed an arch of unity and power. The black scarf around my neck stood for black pride. The black socks with no shoes stood for black poverty in racist America. The totality of our effort was the regaining of black dignity.»
Während der 1950er und 1960er Jahre litt die afroamerikanische Bevölkerung in den USA weiterhin unter Diskriminierung und Rassentrennung. Neben grundsätzlichen Einschränkungen ihrer Bürgerrechte erlebten Afroamerikaner*innen verschiedene Restriktionen im Sozialleben, nicht zuletzt bei der Ausübung von Freizeit- und Profisport. Weisse und Schwarze Athlet*innen wurden im Training und bei Turnieren oft getrennt untergebracht. Beim Mannschaftssport standen bestimmte strategisch wichtige Positionen Schwarzen Sportler*innen nicht offen. Ausserdem sprachen die Coaches und das Trainingspersonal sie mit abwertenden Benennungen wie «N*ger» oder «Affen» an.
Die Bürgerrechtsbewegung, die 1968 in ihrer Hochphase steckte, begann in den 1950er Jahren. Die Schwarze Bevölkerung, geleitet von wichtigen Persönlichkeiten wie Martin Luther King Jr., protestierte gegen die Rassentrennung und die rassistischen Gesetze. Teil dieser Bewegung und der Proteste waren auch mehrere afroamerikanische Athlet*innen, unter anderen Tommie Smith und John Carlos. Das wichtigste Symbol der Black-Power-Bewegung war die hochgestreckte, schwarz bedeckte Faust, so wie Smith und Carlos sie in Mexiko inszenierten.
Ausserdem erklärte Tommie Smith später, dass sein gesenkter Kopf bei der Siegerehrung ein Zeichen der Erinnerung an Malcolm X und Martin Luther King Jr. gewesen sei. Die zwei Männer waren wichtige Figuren der Bürgerrechtsbewegung und wurden beide Opfer von tödlichen Attentaten, am 21. Februar 1965 respektive am 4. April 1968. Mit seiner Geste wollte Smith alle Personen ehren, die beim Protest für die Bürgerrechte in den USA ums Leben gekommen waren.
Die Silent Gesture von Tommie Smith und John Carlos anlässlich der Medaillenverleihung der Olympischen Spiele in Mexico City am 16. Oktober 1968 fand den Weg auch in die Schweizer Medien. (Ausschnitt aus der Zeitung «La Liberté - quotidien romand édité à Fribourg», 18. Oktober 1968.)
Die Bewegung war auch im Sport sichtbar. Denn grosse Sportevents können ein breites Publikum erreichen und haben das Potential, das Interesse der Öffentlichkeit zu wecken.
Im Oktober 1967 gründete der amerikanische Soziologe Harry Edward das Olympic Project for Human Rights (OPHR). Eines der wichtigsten Ziele, die das Projekt erreichte, war die Sperrung von südafrikanischen Teilnehmer*innen bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko, da das Apartheidregime in Südafrika nicht mit den Menschenrechten vereinbar war. Weiter versuchte das OPHR, alle afroamerikanischen Athlet*innen von einem Boykott der Spiele zu überzeugen. Viele von ihnen waren aber skeptisch. Schliesslich wurde entschieden, dass Schwarze Athlet*innen doch an den Spielen teilnehmen würden, gleichzeitig aber auf unterschiedliche Art und Weise für die Bürgerrechte der Afroamerikaner*innen protestieren würden. Diese Strategie sowie die zukünftigen Pläne des OPHR wurden 1968, kurz vor der Durchführung der Olympischen Spiele, an der «National Conference on Black Power in Philadelphia» in einem offiziellen Kommuniqué präsentiert.
Trotz dieser Entscheidung waren Tommie Smith, John Carlos und wenige andere afroamerikanische Athlet*innen entschlossen, die Spiele zu boykottieren, um ein klares Zeichen des Protests zu geben. Das OPHR musste sie regelrecht von seiner Strategie überzeugen: Ein Boykott der Spiele durch so wenige Protestierende würde als eine unnötige, wirkungslose Aktion mit individuellen Opfern untergehen. Ausserdem hatte die neue Strategie des OPHR, viele besonders starke afroamerikanische Athlet*innen, wie etwa Smith und Carlos, in Mexico City antreten zu lassen, einen weiteren Vorteil:
«…if only one single black athlete staged a gesture of protest during the course of victory ceremonies in Mexico City, the millions of oppressed black people in America would have been remembered.»
Die «Silent Gesture» von Smith und Carlos blieb nicht ohne Konsequenzen. Das US-amerikanische Olympische Komitee warnte alle ihre Athlet*innen, dass neue Proteste jeglicher Art harte Massnahmen und Bestrafungen zur Folge hätten. Tommie Smith und John Carlos wurden aus dem olympischen Team ausgeschlossen und mussten Mexiko innert 48 Stunden verlassen. Smith sah sich gezwungen, seine sportliche Karriere bereits im jungen Alter von 24 Jahren zu beenden. Viele US-amerikanische Athlet*innen – sowohl Schwarze als auch weisse – waren empört über diese heftige Massnahme und drohten, vor der Schlussfeier abzureisen. Nicht zuletzt folgten Athleten wie Bob Beamon und Ralph Boston dem Beispiel Smiths und Carlos’ und protestierten während ihrer Medaillenverleihung mit symbolischen Gesten. Ihr Protest war ein doppelter: für die Bürgerrechtsbewegung und gegen die Sanktionen ihres Olympischen Komitees. Um den USA die potentielle Verlegenheit zu ersparen, beim krönenden Abschluss der Olympischen Spiele neben den Delegationen aus anderen Ländern mit einem stark reduzierten Aufgebot zu verblassen, entschieden die Organisatoren, dass jedes Land nur sechs Athlet*innen an die Schlussfeier schicken durfte.
Die protestierenden Athleten konnten mit ihren Gesten die Öffentlichkeit erreichen. Dies löste eine neue Welle von Demonstrationen der Schwarzen Bevölkerung in verschiedenen US-amerikanischen Städten aus. Ausserdem wurde die Diskriminierung gegen Afroamerikaner*innen in einem neuen Bereich der Gesellschaft, also im Sport, sichtbar, was eine grosse Solidarität seitens weisser Athlet*innen sowie der breiten weissen amerikanischen Bevölkerung bewirkte. Ein Beispiel dieses Zusammenhalts zeigte schon bei der Siegerehrung in Mexico City der Australier Peter Norman: Er stand bei der Siegerehrung neben den zwei US-amerikanischen Athleten auf dem zweiten Platz und trug dabei den Button des OPHR auf seiner Trainingsjacke.
Dank Smiths und Carlos’ Geste auf der Bühne der Olympischen Spiele, die durch Zeitungen und Fernsehbeiträge dokumentiert und verbreitet wurde, erreichte die Bürgerrechtsbewegung die Weltöffentlichkeit. Smith, Carlos und andere Athleten schafften es, als Symbole der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung und als wichtigste Akteure der Olympischen Spiele von Mexico City 1968 in die Weltgeschichte einzugehen.
Eine neue Welle von Protestaktionen seitens der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA war im Jahr 2016 zu beobachten. Zu den unterschiedlichen Demonstrationen im ganzen Land ist auch der Protest des Footballspielers Colin Kaepernick (Quaterback bei den San Francisco-49ers in der National Football League) zu zählen, der Smiths und Carlos’ Protest-Geste wiederaufnahm. Als am 26. August 2016 beim dritten Vorsaisonspiel die Nationalhymne ertönte, blieb Kaepernick sitzen. Diese erste Protestaktion wiederholte er auch bei darauffolgenden Spielen mit einer kleinen Variante: Anstatt sitzen zu bleiben, fiel er auf die Knie. Seine Geste erschien innerhalb weniger Tage in Zeitungen und Nachrichten im ganzen Land. Er erklärte, dass er nicht auf eine Flagge stolz sei, die für ein Land steht, das Schwarze und andersfarbige Menschen unterdrücke. Bald übernahmen immer mehr Athlet*innen seine Protestaktion.
Ein Grossteil der amerikanischen Bevölkerung war über diese Geste empört. Insbesondere nach den Terroranschlägen des 9. September 2001 galt die Nationalhymne der USA als Symbol für die Einheit des Landes. Bei ihrer Abspielung nicht ehrenhaft zu stehen, hiess, sich gegenüber dem Vaterland respektlos zu verhalten.
Wie Smith damals, litt auch Kaepernick unter den Konsequenzen seines Protests. In den folgenden Jahren wurde er von der höchsten Liga des amerikanischen Footballs ausgeschlossen. Keine Mannschaft nahm ihn auf, als er von den San Francisco-49ers entlassen wurde. Doch wie Smith damals, erfuhr auch Kaepernick nicht nur eine Bestrafung, sondern auch Solidarität und Aufmerksamkeit für die Forderungen seines Protests: die Respektierung der Bürgerrechte der Afroamerikaner*innen.
Sport und Sportveranstaltungen bieten eine ideale Bühne für Protestaktionen. Wichtige Sportevents, wie zum Beispiel die Olympischen Spiele, ermöglichen eine weitreichende Verbreitung von Botschaften, wodurch die Aufmerksamkeit der globalen Szene erreicht werden kann. Sportprotestaktionen können in unterschiedlichen Formen vorkommen, meistens sind sie mit einem Boykott oder mit symbolischen Gesten verbunden. In der Sportgeschichte sind Smiths und Carlos’ schwarze Fäuste nur ein Beispiel eines Sportprotests, der durch religiöse, politische oder soziale Gründe motiviert ist.
Bei der US-Bürgerrechtsbewegung stellte der Sport einen wichtigen Teil des Protests dar. Schwarze Sportheld*innen wie etwa Muhammed Alì oder Jessie Owens waren Vorbilder für die Schwarze Jugend in den USA. In der Zeit der Desegregation und der beginnenden Integration halfen sie, das Selbstbewusstsein der afroamerikanischen Bevölkerung zu stärken. Diese Athlet*innen wurden in kurzer Zeit zu Idolen, denn sie zeigten, dass Schwarze Amerikaner*innen sich in der Sportwelt auf gleichem Niveau mit den weissen messen konnten, ganz im Gegensatz zur politischen Realität, wo die afroamerikanische Bevölkerung nicht die gleichen Rechte wie die weissen Amerikaner*innen ausüben konnte.
Edward, Harry: The Revolt of the Black Athlet, Illinois 2017 [1970].
Mittag, Jürgen: Sport und Protest. Motive und Repertoire von Sportprotest als Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements, in: Schürmann, Volker (Hg.): Sport und Zivilgesellschaft, Berlin 2012, S. 191 – 214.
Smith, Tommie; Smith, Delois; Steele David: Silent Gesture. The autobiography of Tommie Smith, Philadelphia 2007.
Steinkamp, Egon W.: Sport und Rasse. Der schwarze Sportler in den USA, Ahrensburg bei Hamburg 1976, (Schriftenreihe für Sportwissenschaft und Sportpraxis 29).
Jacobsen, Annabeth: Ein amerikanischer Held. Die Geschichte des Colin Kaepernick, Schweizer Radio und Fernseher SRF. Online: <https://www.srf.ch/play/tv/srf-myschool/video/ein-amerikanischer-held — die-geschichte-des-colin-kaepernick?id=42f48a41-4d5a-4221-addb-6ad014b89654>, Stand: 21.04.2020.
Luca Nicola Panarese studiert Zeitgeschichte und Französisch als Fremdsprache im Master an der Universität Fribourg. Er interessiert sich besonders für sozialpolitische Themen, Identitäts- und Migrationsgeschichte sowie italienische Geschichte. In seiner Masterarbeit beschäftigt sich Luca mit der faschistischen Propaganda innerhalb der italienischen Gemeinschaft in Bern von 1922 bis 1943.