Wer heute den Namen «Patent Ochsner» hört, singt im Kopf schon einen Refrain der bekannten Berner Pop Band. Doch dieser Name war schon seit der Jahrhundertwende in den Schweizer Strassen zu lesen, damals aber noch nicht auf Konzertplakaten. Die Firma Ochsner revolutionierte mit ihren Abfalleimern das Schweizer Entsorgungssystem. Vor jeder Schweizer Haustüre standen morgens die Ochsner-Kübel.
«D’W. Nuss vo Bümpliz geit dür d Strass, liecht u flüchtig wi nes Gas», so beginnt das bekannteste Lied der Berner Pop Band Patent Ochsner.
Gegründet 1990, begeistert die Berner Mundart Band seit über 30 Jahren Jung und Alt. Doch Patent Ochsner ging schon viel früher dür d Strass, zwar nicht als Musikband, aber als bildhafte Abfalleimer vor beinahe allen Schweizer Haushalten. Die Firma Ochsner revolutionierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Schweizer Entsorgungssystem. Sie liess den Abfalleimer aus Blech patentieren – dieser erhielt bald Kultstatus. Heute sind die Eimer aus dem Strassenbild verschwunden, der Name «Patent Ochsner» bleibt aber dank der Musikgruppe bekannt. Was aber die Berner Band mit einem Abfalleimer zu tun hat, ist vielen Fans nicht bekannt. Schauen wir also zunächst in den Teil der Schweizer Geschichte, in dem Patent Ochsner nur ein Abfallkübel war.
Von organisierten Entsorgungssystemen kann in der Geschichte der Schweiz bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch nicht gesprochen werden. Abfall entstand auch in der vorindustriellen Zeit, fiel aber direkt in Erdgräben zwischen den Häusern. Die sogenannten Ehgräben wurden mit Stroh belegt, um aus den Fäkalien Mist zu machen. Als die Pest wütete, kamen die ersten Gedanken darüber auf, dass Abfall zu Gesundheitsproblemen beitragen könnte. So verordneten die Obrigkeiten während der Pestzeiten die Reinigung der Strassen und die Beseitigung von Abfall. Die Städte der Schweiz unternahmen im 15. und 16. Jahrhundert erste Organisationsversuche für die Kehrrichtabfuhr. Die Stadtbewohner wurden beauftragt, vor ihrer Haustür bis zur Gassenmitte zu fegen und das Zusammengewischte gemeinsam mit dem Haushaltsabfall zu einer Sammelstelle zu bringen. Städtische Fuhrleute waren dann verantwortlich für die weitere Entsorgung.
Mit der einsetzenden Hygienebewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Abfallentsorgung grundlegend. Es wurde bekannt, dass Hygiene und der Ausbruch von Krankheiten direkt verbunden waren. So wurde auch die Abfallentsorgung zu einem Programmpunkt der Hygienebewegung. In der Schweiz war der Ausbruch einer schlimmen Cholera-Epidemie im Jahr 1856 der Zünder für die Neugestaltung der Müllentsorgung. Als Verursacher von diversen Gesundheitsproblemen mussten die Ehgräben per Gemeinderatsbeschlüsse im folgenden Jahrzehnt einem neuen Verfahren weichen. Stattdessen wurden in Kellern Räume mit Abtrittkübeln eingerichtet. Die Einführung von ersten Abfallverbrennungsanlagen war ein weiterer zentraler Schritt auf dem Pfad zu einem systematischen Entsorgungssystem in der Schweiz. In Zürich nahm 1904 die erste Kehrrichtsverbrennungsanstalt nach dem Vorbild der Stadt Hamburg ihren Betrieb auf. Damit die Entleerung in diesen Verbrennungsanlagen zügig vorangehen konnte, wurden Wagen mit abnehmbaren Kehrichtsegmenten eingeführt. Die offenen Pferdefuhrwerke wurden hingegen zu einem Relikt der Vergangenheit.
1899, erster geschlossener Pferdewagen mit Eimer für staubfreie Entleerung. Die geschlossenen Pferdewägen machten die Arbeit einfacher und staubfrei. Hier das erste Modell der Firma Ochsner aus dem Jahr 1899. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv, Ans_09138-001-AL [Company J. Ochsner & Cie AG, Zurich], ca. 1940 / Unbekannt, Public Domain Mark.)
Die Wagen mit abnehmbaren Kehrichtsegmenten waren eine Fertigung des Zürcher Wagnermeisters Jakob Ochsner. Ganz im Zeichen der technischen Modernisierung und des Fortschrittsdenkens im 19. Jahrhundert, entwickelte Jakob Ochsner standardisierte Eimer für eine mühelose Entsorgung. Für die Produktion von Rädern, gründete sein Vater bereits 1846 eine Werkstatt. Das Zeitalter der Pferdekutschen neigte sich allerdings allmählich dem Ende zu.
Jakob Ochsners Ideen entsprangen wohl auch seinem USA-Aufenthalt im Jahr 1886. Hier kämpften die Städte mit Problemen, welche aus den Bergen von Abfällen resultierten. Die in den USA umgesetzten Methoden studierte Jakob Ochsner und brachte seine Ideen in die Heimat. Bis anhin verfügten alle Haushalte über unterschiedliche Kübel, worin Schmutz und Gestank hängen blieb. Das Beladen der Wagen stellte somit eine unappetitliche Tätigkeit dar.
1896 montierte Jakob Ochsner die ersten Sammelbehälter auf Pferdewagen. Im Vergleich zu der Abfallbeseitigung in den USA, wollte Jakob Ochsner aber die Lösung dafür noch perfektionieren. Die Haushalte sollten mit den standardisierten Kübeln ausgerüstet werden. Diese besassen präzis gemessene Klappdeckel. Auf den Transportwagen wurden Metallbehälter mit Schiebeöffnungen montiert. Darin verkrallten sich die Klappdeckel der Ochsner-Kübel. Auch die Behälter der Verbrennungsanlagen rüstete man mit Feuerklappen aus, analog zu jenen der Transportgefässe. Deutlich wird hier nun, was das Ochsner-System zu einer kleinen Revolution des Abfallsystems der Schweiz machte: Es entstand eine geschlossene Transportkette von den Haushalten bis zur Verbrennungsanlage. Die Entsorgung wurde so deutlich hygienischer und automatisierte sich langsam.
«Ich bin der Meinung, dass sie [die Ochsner-Kübel] der Menschheit etwas gebracht haben. Neben den rein technischen Verbesserungen war man vom Gedanken geleitet: Wie lässt sich das Problem der Verschmutzung unserer Städte lösen? Es war ein gesellschaftliches Problem»
Im Jahr 1910 führte die Firma die ersten motorisierten Fahrzeuge ein und bewegte sich mit neuem Tempo in Richtung in Richtung Zukunft mit weniger Abfall.
Das Ochsner-System veränderte zunehmend auch den Alltag der Menschen, insbesondere in akustischer Hinsicht. Das Scheppern der Kübel in der Morgenfrühe war zwar laut, zeugte aber zugleich vom neuen Fortschrittsgefühl und einem «Zeitalter der Technik». Die Ochsner-Kübel wiedergaben auch ein neues Selbstgefühl der Schweizer*innen, die sich nun als «modern» betrachteten. Ochsner brachte nämlich auf den Eimerdeckeln das helvetische Kreuz an. Es gab zudem auch Modelle mit den jeweiligen Kantonswappen.
Patent Ochsner in den Berner Strassen: Ein Ochsner-Kübel (Adrian Michael via Wikimedia Commons)
Der Gemeinderat der Stadt Zürich erklärte das System Ochsner 1926 für obligatorisch. Auch in anderen Gemeinden wurde es verwendet. Der Patent-Ochsner-Kübel, als Teil des Strassenbildes der Schweiz, war fortan nicht mehr wegzudenken.
Eine wichtige Weiterentwicklung des Ochsner-System geschah mit dem Materialwechsel der Transportwagen von Holz zu Aluminium. Dieser Werkstoff rostete nicht und dank der einheimischen Wasserenergie konnte das Material sogar im eigenen Land produziert werden.
Das Ochsner-System verbreitete sich schliesslich nicht nur in der Schweiz, sondern auch darüber hinaus. Aber nach der Ölkrise in den 1970er Jahren musste die Firma Ochsner in fremde Hände gegeben werden und wird heute von einer deutschen Gruppe geführt.
Am Anfang der 1970er Jahre standen die Ochsner-Kübel noch wöchentlich an den Strassenrändern. Es zeichnete sich allerdings langsam ein Ende des Ochsner-System ab. Die Stadt Winterthur führte beispielsweise im Jahr 1973 den Abfallsack ein und verbannte damit zugleich den Ochsner-Kübel aus dem Strassenbild. Ein Grund für den Wechsel zum Abfallsack war der Personalmangel. So erklärte das Bauamt Winterthur im Jahr 1971:
«Es gilt, jenes Abfuhrsystem und jene Organisation zu finden, die ein Minimum an Personal erfordern und von diesem Personal ein Minimum an physischer Beanspruchung verlangen».
Aber auch der Abfall hatte sich verändert. Zunehmend bestand er aus Plastik und weiteren Zeugnissen der «Wegwerfgesellschaft» und nicht mehr aus staubiger Asche von den Zimmeröfen. So verschwanden die Ochsner-Kübel durch veränderte Ansprüche und neuere Entsorgungsmethoden von den Strassen. Der Name Patent Ochsner wurde aber recycelt.
Warum wählte also die Berner Mundart Band den Namen eines Kübels? Hier ist ein Ausflug in die Musikgeschichte hilfreich. Bereits in den Jugendbewegungen und Subkulturen der 1970 und 1980er Jahre – denken wir an Punk und Hip-Hop – galt Abfall als Symbol des Protests gegen die Konsum- und Wohlstandsgesellschaft. Daraus entwickelte sich auch die Punk Rock Musik, deren Bands oft abwertende Namen trugen wie The Exploited (Die Ausgebeuteten), The Vandals (Die Vandalen) oder Sex Pistols (Sexpistolen). Der Name Patent Ochsner also als Anspielung auf den Abfallkübel, um besonders trashy zu wirken?
Dies soll nicht der Fall der Berner Mundartband gewesen sein, obwohl wahrscheinlich die Rockkultur doch einen gewissen Einfluss bei der Taufe hatte. Bereits in der Vorläuferband des Sängers Büne Huber «poubelle publique» klingt der Name des Kübels bereits an. Nachdem sich die Band 1990 auflöste, formierte Büne Huber eine neue Band mit einem neuen Namen.
Wie der Gründer und Leadsänger der Band Patent Ochsner berichtet, habe sein Vater «Patent Ochsner» auch als Synonym verwendet «für etwas Wertloses, für etwas, dass misslungen war und genauso gut weggeschmissen werden konnte». Von seinen ersten musikalischen Entwürfen sei sein Vater nicht so begeistert gewesen und hat sie mit «Patent Ochsner» kategorisiert. Es hat sich aber gezeigt, dass die Musik der Band alles andere als Schrott ist, denn die Hits werden von Alt und Jung gesungen. So klingt die Erfindung von Jakob Ochsner – eine kleine Revolution in der Schweizer Abfallentsorgung – heute noch in Konzertsälen nach.
Betschart, Andreas: Das Ende der Ochnserkübel, in: Der Landbote, 16.03.2022. Online: https://www.landbote.ch/das-ende-der-ochsnerkuebel-955266663247, Stand: 24.12.2022.
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Willi, Wottreng: Revolutionäre und Querköpfe: Zürcher Schicksale, Zürich 2005.
Interview mit Patent Ochsner: Ein paar Facts zum Namen Patent Ochsner, Mailinterview geführt von Yasmine Galli, 02.03.2023.
Yasmine Galli studiert Sozialarbeit/Sozialpolitik und Zeitgeschichte im Bachelor an der Universität Fribourg. Sie interessiert sich besonders für Neueste Schweizer Geschichte, Sozialgeschichte und Globalgeschichte des 20. Jahrhunderts.