Dossier #4: Trash

Geht die Welt unter?

Von Pauline Aebischer

30. Juni 2023

Die Erde wird wärmer, Eis schmilzt, der Meeresspiegel steigt und immer mehr Menschen müssen vor Klimakatastrophen flüchten. 1973 prophezeite der Schweizer Kabarettist Franz Hohler in seinem Text Der Weltuntergang das Ende der Zeit. Seit bald vierzig Jahren ist die Welt auf dem Weg in die Klimahölle und seither ringt die Schweiz mit dem Umweltschutz.

Dominoeffekt

«Der Weltuntergang / meine Damen und Herren / wird nach dem, was man heute so weiss / etwa folgendermassen vor sich gehn:»
«Der Weltuntergang», 1973.

Hohlers Weltuntergangsszenario spielt auf einer kleinen Insel im südlichen Pazifik und gleicht einer Kettenreaktion, bei der ein Unheil das Nächste jagt. Es beginnt mit dem Aussterben eines Käfers, weil Öl, Russ und Schwefel seine Nahrung kontaminiert haben. Daraufhin sterben die ersten Vögel aus, da ihnen die Nahrung – der Käfer – ausbleibt. Fische verenden, weil ihnen das tägliche Brot – der Vogelkot – fehlt. Plötzlich treten unbekannte Insekten auf, welche die Ernten ausfallen lassen. Während all diese Faktoren dazu führen, dass in Europa die Preise für Nahrungsmittel steigen, versuchen sich die Menschen auf der Insel vor Überflutungen in Sicherheit zu bringen.

Hohler warnte vor den menschlichen Eingriffen in die Natur und besprach Themen — Umweltemissionen, Nahrungsmittelversorgungskrisen oder Teuerung -, die auch heute unsere Gesellschaft mehr denn je prägen. Rückblickend scheint Franz Hohler das Ende der Welt vorausgesehen zu haben. Denn schon 1986 hielt die Welt den Atem an, als es nahe der ukrainischen Stadt Prypjat im Atomkraftwerk von Tschernobyl zu einem der bisher schwersten Nuklearunfälle kam. Die Explosionen der Reaktorblöcke schleuderten radioaktives Material in die Atmosphäre, das weite Teile Russlands, Weissrusslands und der Ukraine verseuchte. Die radioaktive Wolke zog über Skandinavien nach Mitteleuropa und tangierte so auch die Schweiz. Im gleichen Jahr brannte in Basel eine Lagerhalle des damaligen Chemiekonzerns Sandoz. Infolgedessen gelangten giftige Chemikalien über das Löschwasser in den Boden und in den Rhein, was flussabwärts zum Fischsterben führte. Ab den 1980er Jahren beschäftigte auch das (bis heute umstrittene) «Waldsterben» die Schweiz, wobei verschiedene Luftschadstoffe für das Erkranken von Bäumen verantwortlich gemacht wurden. 

Wachstum + Konsum = Fortschritt?

Umweltkatastrophen waren einerseits ein Zeichen dafür, dass man zu lange weggeschaut und mögliche Folgen des Wirtschaftswachstums ignoriert hatte. Andererseits öffneten sie vielen die Augen und schufen ein erhöhtes Bewusstsein dafür, behutsamer mit der Natur umzugehen. Als in der Schweiz und in der Bundesrepublik Deutschland die Kritik an den Atomkraftwerken laut und ein einheitlicher Schutz der Umwelt gefordert wurde, erschien Franz Hohlers Stück. Woher stammte aber die Vorstellung, dass wir unsere Umwelt schützen müssen? Die Debatten rund um den Umweltschutz haben ihre Wurzeln in den 1970er Jahren, als zunehmend klar wurde: Wenn Konsum und Bevölkerungswachstum ansteigen, würde dies fatale Konsequenzen haben. In den Nachkriegsjahren hatten technologischer Fortschritt und Vollbeschäftigung zu einer Aufbruchsstimmung geführt. Die vergangenen Katastrophenjahre mit Hunger, Armut und Arbeitslosigkeit waren bald vergessen. Haushalte wurden elektrifiziert und neue Konsumgüter, wie der Fernseher oder die Mikrowelle, wurden für die breiten Massen verfügbar. Die Nutzung von Erdöl als Energielieferant schuf völlig neue Möglichkeiten, sich mit Flugzeug und Auto fortzubewegen. Neu entstandene Industriezweige sorgten für mehr Arbeitsplätze. Die Atomenergie versprach billige und grenzenlose Stromversorgung, während die Chemieindustrie neue Stoffe herstellte und damit die Landwirtschaft, die Medizin und den Alltag der Menschen massgeblich veränderte. Die vorgesehene Gleichung: «mehr Arbeit, mehr Freizeit, mehr Konsumfähigkeit = mehr Abfall und mehr Umweltverschmutzung» ging aber nicht auf. Die negativen Auswirkungen menschlichen Wohlstands auf Kosten der Natur schilderte auch Hohler in seinen Strophen.

«Sie liess das Sonnenlicht wie bisher hinein / aber nicht mehr hinaus / wodurch sich die Luft dermassen erwärmte / dass das Eis an den Polen zu schmelzen begann / die Kälte kam zum Erliegen / und die Meere stiegen.»
«Der Weltuntergang», 1973.

Auftakt zum Umweltschutz

Umweltschützer*innen, Klimaaktivist*innen und grüne Politiker*innen waren in den Nachkriegsjahren eine kleine Gruppe. Wichtige Umweltschutzverbände wie der World Wide Fund for Nature (WWF) und Greenpeace wurden erst später, 1961 und 1971 gegründet. Den Grundstein für die Entstehung grüner Parteien in der Schweiz legten Gegner*innen eines Autobahnprojekts, als sie sich im Kanton Neuenburg zusammenschlossen.

Eine Umweltschutzgruppe in Laupen richtet im Jahr 1990 ihren Protest an die Autofahrer*innen mit Transparenten mit der Aufschrift "Fahren ist freiwillig – Amten nicht"

«Fahren ist freiwillig – Atmen nicht». Eine Umweltschutzgruppe in Laupen richtet im Jahr 1990 ihren Protest an die Autofahrer*innen. (Schweizerisches Sozialarchiv, F 5032-Fb-0978 / Ueli Gutknecht.)

Ab Mitte der 1970er-Jahre entstanden dann in zahlreichen Schweizer Kantonen erste grüne Parteien und politische Gruppierungen. 1972 fand in Stockholm die erste UNO-Konferenz zum Thema Umweltschutz statt. Wie kam es dazu, dass erstmals auf der Weltbühne über Klimaschutz diskutiert wurde? Die Vorstellung, dass das Stillen von steigenden individuellen und wirtschaftlichen Bedürfnissen und die wachsende Weltbevölkerung die Umwelt grundlegend gefährden entwickelte sich. Franz Hohler griff diese zeitgenössische Befürchtung auf und schilderte auf eindrückliche Weise, wie die Klimaerwärmung fortschreiten und katastrophale Auswirkungen haben würde. Nicht nur für die Natur, sondern auch für die Menschheit, die sie ausgelöst hatte. 

Auch in der Schweiz lässt sich ab den 1970er-Jahren ein verstärktes Umweltschutzbewusstsein beobachten. In der eidgenössischen Volksabstimmung vom 6. Juni 1971 nahmen Schweizer Bürger*innen den Verfassungsartikel für den Umweltschutz mit einem deutlichen Ja-Stimmenanteil von 97.7% an. Dieser hielt fest: «Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen und lästigen Einwirkungen. Er sorgt dafür, dass solche Einwirkungen vermieden werden». Damit wurde der Umweltschutz von der wissenschaftlichen Erkenntnis und moralischen Pflicht neu auch zur staatlichen Aufgabe. Fast zeitgleich mit dem Verfassungsartikel wurde zudem das Bundesamt für Umweltschutz geschaffen. Allerdings trat das Umweltschutzgesetz der Schweiz erst vierzehn Jahre später, 1985, in Kraft. Doch warum dauerte die Umsetzung so lange? 

Eine Goliath-Aufgabe

«das Meer ist gestiegen, weil die Luft sich erwärmte»
«Der Weltuntergang», 1973.

Wenngleich bewiesen war, dass sich der Meeresspiegel erhöhte und die Klimaerwärmung, fortschritt, dauerte es lange, bis das Umweltschutzgesetz geschaffen wurde. 

Umweltschutzaktion 1987 beim Platzspitz in Zürich: Ein Kind lässt ein selbstgebasteltes Mini-Floss mit der Aufschrift «water is life» in die Limmat.

Umweltschutzaktion 1987 beim Platzspitz in Zürich: Ein Kind lässt ein selbstgebasteltes Mini-Floss mit der Aufschrift «water is life» in die Limmat. (Schweizerisches Sozialarchiv, F 5107-Na-16-157-002 / Gertrud Vogler.)

Politik und Gesellschaft waren sich einig, dass ein Gesetz der richtige Weg sei, um die Umwelt in Zukunft zu schützen. Allerdings stellte der Umweltschutz die Gesetzgeber*innen vor eine völlig neue Herausforderung. Gesetze hatten bisher die Aufgabe, die gegenwärtige gesellschaftliche Ordnung zu regeln. Nun wurden ihnen eine neue Funktion übertragen. Die kolossale Aufgabe: zukünftige Generationen vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen. Fortan sollte das Recht bestimmte Situationen regeln, die unbekannt und in der Zukunft lagen. Obwohl man sich über die Notwendigkeit des Umweltschutzes einig war, erschwerte und zögerte diese komplexe Angelegenheit die juristische Ausgestaltung des Gesetzes hinaus.

«Bliebe noch die Frage / ich stell’ mich schon darauf ein / wann wird das sein?»
«Der Weltuntergang», 1973.

Verschiedenste wissenschaftliche Thesen zirkulierten und prophezeiten ein mögliches Ende der Welt. Mit dem Umweltschutzgesetz sollte diesen Vorstellungen entgegengewirkt werden. Das Gesetz reagierte auf die wissenschaftlichen Theorien und hielt die Reinhaltung der Luft, den Schutz des Bodens und die Abfallentsorgung rechtlich fest. Es mussten allerdings exakte Mechanismen entwickelt werden, um die Zerstörung der Umwelt zu messen, zu bewerten und zu regeln. Das Gesetz musste für alle möglichen Umweltschädigungen Grenzwerte vorsehen und sicherstellen, dass diese auch eingehalten wurden. 1974 kam eine weitere Hürde für die Realisierung eines wirksamen Umweltschutzes hinzu. Vor dem Hintergrund der Ölpreiskrise kamen Bedenken auf, wie und wer für den Umweltschutz aufkommen sollte. Die Lösung lag schnell auf dem Tisch: Die Verursacher*innen der Schädigungen sollten den Umweltschutz direkt finanzieren. Nicht nur grosse Industriekonzerne waren verpflichtet für die verursachten Schadstoffemissionen zu zahlen, sondern auch die privaten Haushalte hatten beispielsweise durch Abfallmarken für den produzierten Müll finanziell aufzukommen. 

Klimaapokalypse?

«Da kratzen sich die Wissenschaftler meistens in den Haaren / sie sagen in zehn, in zwanzig Jahren / in fünfzig vielleicht oder auch erst in hundert»
«Der Weltuntergang», 1973.

Wann genau die Welt untergehen würde, konnte keine wissenschaftliche Theorie beweisen. Ein Ablaufdatum fehlte. Sie zeigten aber die Grenzen des Wachstums auf. Der Stand des technischen Wissens wurde zu einem wichtigen Anhaltspunkt, um die Zerstörung der Umwelt einzuschätzen. 1972 erschien der Bericht Grenzen des Wachstums des Club of Rome. Die Studie, welche am Massachusetts Institute of Technology (MIT) erstellt wurde, hielt fest, dass aktuelle, individuelle und lokale Umweltverschmutzung aufgrund von Wirtschaftswachstum globale Folgen hatte. Es war die erste Studie, die aus wissenschaftlichen Federn stammte und die unumstössliche These vertrat, dass die Welt auf eine Katastrophe zugehen werde, wenn die unbegrenzte Expansion nicht rechtzeitig gebremst würde. Die Wissenschaft mitsamt technischem Fortschritt war zwar mitverantwortlich für die Umweltzerstörung. Gleichzeitig bot sie auch Lösungen an, indem sie Modelle präsentierte, mit denen Umweltemissionen verkleinert werden könnten. 

«der Weltuntergang, meine Damen und Herren / hat / schon / begonnen.»
«Der Weltuntergang», 1973.

Wann geht die Welt unter? Franz Hohlers Prophezeiung hat sich zwar (noch) nicht bewahrheitet, bleibt aber bis heute brandaktuell. Der Tagebau im deutschen Hambach, die grösste Braunkohlegrube Europas, oder die Fast Fashion Friedhöfe in der Atacama Wüste in Chile lassen die Effektivität von Umweltschutzgesetzen infrage stellen. Diese Schaubilder zeigen klare Parallelen zu den 1970er- und 1980er-Jahren. Doch sind es nicht dieselben Geschichten, die erzählt werden. Was gleich bleibt, ist die anhaltende Zerstörung der Umwelt. Woran liegt es, dass trotz (scheinbar) effektiven Umweltschutzgesetzgebungen der C02-Aussstoss weltweit fortschreitet? Auf der Weltklimakonferenz 2022 wurde weder die Abkehr von fossilen Brennstoffen noch eine sofortige und nachhaltige Strategie zur Senkung von Emissionen beschlossen. Es gibt aber auch Lichtblicke in den Debatten rund um den Umweltschutz. Klimaaktivist*innen appellieren, setzen sich auf die Strasse oder besetzen ganze Dörfer. Der Zankapfel besteht weiterhin; offen bleibt die Frage, wie sich Umweltzerstörung und Umweltschutz in Zukunft die Waage halten werden. 

Zu Fuss auf der Autobahn

Zu Fuss, mit dem Fahrrad, auf Rollschuhen oder mit der Picknickdecke auf der Autobahn — Bilder, die heute höchstens von Protestaktionen stammen. An drei Tagen im Jahr 1973 gehörten solche Szenen auf Schweizer Autobahnen, Haupt- und Nebenstrassen allerdings zur Normalität. Mit dem Erdölschock, der auf den Jom-Kippur-Krieg folgte, wurde das bis anhin preiswerte Benzin aufgrund des Embargos der erdölfördernden Staaten (OPEC) schlagartig rar und teuer. Der Bundesrat verfügte daraufhin drei autofreie Sonntage, an denen Ausflügler*innen auf das Auto verzichten mussten. Der erste Sonntag ohne Autos, Motorräder oder Lastwagen fand am 25. November 1973 statt. Fahren durften einzig Busse des öffentlichen Verkehrs, Rettungsfahrzeuge und Lastwagen, die frische Lebensmittel transportierten. Abgesehen davon blieben an diesem Tag die Strassen autofrei. Für die Schweizer Bevölkerung wurde das erste Sonntagsfahrverbot zu einem humorvollen Ereignis – einige ritten sogar auf Pferden durch die Berner Altstadt. Mit dem Ziel, Benzin zu sparen, wurden die ersten autofreien Sonntage erlassen. Nachfolgend gab es immer wieder Versuche, weitere autofreie Sonntage einzuführen. Allerdings aus einem anderen Grund: um die Umwelt zu schonen. So etwa die «Sonntagsinitiative», über welche die Schweizer Stimmbevölkerung am 18. Mai 2003 entschied. Der Vorschlag, während vier Jahren einen autofreien Sonntag pro Jahreszeit einzuführen, wurde allerdings mit einem Nein-Stimmen-Anteil von 62,4% verabschiedet. 

Autofreier Sonntag (1973) aus dem SRF-Archiv

Quellen

Bundeskanzlei (BK): Volksabstimmung vom 18.05.2003, (Internetversion). Online: https://​www​.bk​.admin​.ch/​c​h​/​d​/​p​o​r​e​/​v​a​/​20030518​/​i​n​d​e​x​.html, Stand: 11.04.2023.

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999. Online: https://​www​.fedlex​.admin​.ch/​e​l​i​/​c​c​/​1999​/​404/de, Stand: 08.12.2022.

Hohler, Franz: Der Weltuntergang, Illustration von Dieter Leuenberger, Zürich 2023.

Literatur

Brüggemeier, Franz-Josef: Schranken der Natur. Umwelt, Gesellschaft, Experimente. 1750 bis heute, Essen 2014

Fischer, Michael: Atomfieber. Eine Geschichte der Atomenergie in der Schweiz, Baden 2019

Kupper, Patrick: Die «1970er Diagnose». Grundsätzliche Überlegungen zu einem Wendepunkt der Umweltgeschichte, in: Archiv für Sozialgeschichte, 43, 2003, S. 325 – 348.

Pfister, Christian: Das «1950er Syndrom». Die umweltgeschichtliche Epochenschwelle zwischen Industriegesellschaft und Konsumgesellschaft, in: Pfister, Christian (Hg.): Das 1950er Syndrom. Der Weg in die Konsumgesellschaft, Bern etc. 19962, S. 51 – 95.

Radkau, Joachim: Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011

Tanner, Jakob: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert, München 2015

Zu Pauline Aebischer

Pauline Aebischer studiert im Master Zeitgeschichte und Europastudien an der Universität Freiburg (CH). Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Globalgeschichte sowie der Geschichte Europas und der Geschichtspolitik im 20. und 21. Jahrhundert.