Dossier #3: Ekstase

Ekstase auf der Leinwand, Aufruhr im Saal

Ein weiblicher Orgasmus als Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen

Von Christina Nanz

4. Mai 2022

Der Film «Ekstase» führte nach der Erstaufführung 1933 wiederholt zu Aufruhr, Kritik und Zensur. Denn: Die Protagonistin ist minutenlang nackt und implizit bei einem Orgasmus zu sehen. Noch mehr irritierte aber, dass die Handlung an gesellschaftlichen Tabus rüttelte.

Die Handlung ist für einen Liebesfilm wenig überraschend: Die junge, hübsche Eva verlässt ihren älteren, gefühlskalten Ehemann und verliebt sich in den attraktiven Adam, mit dem sie eine innige Liebesbeziehung beginnt. Als sich der verlassene Ehemann aus Verzweiflung erschiesst, verlässt Eva auch Adam und bleibt allein mit ihrem neugeborenen Kind. Was uns heute an einen beliebigen Hollywoodstreifen denken lässt, löste nach seinem Erscheinen 1933 einen Skandal aus. Behörden zensierten den Film des tschechischen Filmregisseurs Gustav Machatý und wandelten ihn in verschiedene Versionen um. Woran störten sich die zeitgenössischen Zuschauenden? Einige empörten sich ab einer minutenlangen Nacktszene Evas. Noch skandalöser empfanden sie aber die Darstellung eines Orgasmus der Protagonistin. «Ekstase» gilt als erster Film, der einen weiblichen Orgasmus zeigte. Ein Blick in die Zensurentscheide und die Entstehung der unterschiedlichen Versionen des Films lässt jedoch darauf schliessen, dass diese beiden Szenen nicht allein verantwortlich für die Aufregung waren.

Beim Höhepunkt reisst die Perlenkette

Zunächst aber zu den umstrittenen Szenen. Nachdem Eva ihren Ehemann verlassen hat und wieder zu ihrem Vater gezogen ist, reitet sie hinaus in die Natur und zieht sich an einem Weiher aus, um zu baden. Während sie im Wasser schwimmt, läuft ihr Pferd mit ihrem Kleid davon, sie rennt ihm nackt hinterher. Da lernt sie den gutaussehenden Ingenieur Adam kennen. Er fängt ihr Pferd ein und gibt ihr das Kleid zurück. Am Abend geht sie, aufgewühlt und hin und her gerissen, in Adams Wohnung. Sie küssen sich, liegen aufs Bett. Dann sieht man nur noch Evas Gesicht in Nahaufnahme, ihre Erregung. Dann der Höhepunkt: Sie schlägt die Arme über dem Gesicht zusammen, ihre Perlenkette reisst, fällt zu Boden. Evas Gesichtsausdruck ist nun träumerisch, zufrieden. Sie schliesst Adams Kopf in die Arme, der auf ihrer Brust liegt. Die Szene steht in der Mitte des Films, dient gewissermassen als Wendepunkt. Danach wirkt die Handlung gelöster, schneller, ausgelassener.

Filmstill zeigt zerrissene Perlenkette am Boden im Film Ekstase von 1933.

Die Perlenkette, die bei Evas Höhepunkt reisst und zu Boden fällt, steht symbolisch für die Befreiung aus ihrer Ehe – und die Loslösung von gesellschaftlichen Zwängen. (© Foto: Filmarchiv Austria)

Während der Sexszene behalten beide ihre Kleider an, ihre Körper werden nicht gezeigt. Lediglich Evas Gesicht lässt erkennen, dass sie einen Orgasmus hat. Mit Blick auf die Kritik, die der Film auslöste, stellt sich die Frage: Störten sich die zeitgenössischen Kinobesuchenden und Zensurbehörden an der Sexszene? Störten sie sich daran, dass ein weiblicher Orgasmus gezeigt wurde, bei dem die sexuelle Lust einer Frau im Zentrum stand? Oder hatte die Empörung noch ganz andere Gründe?

Tumulte bei der Erstaufführung in Wien

Die Weltpremiere, die am 18. Januar 1933 in Prag stattfand, verlief ruhig. Die tschechische Presse reagierte mehrheitlich positiv auf den Film. Die vereinzelten negativen Reaktionen bezogen sich weniger auf die gewagten Szenen als auf die internationale Besetzung der Rollen. Die Hauptdarstellerin Hedy Kiesler war Österreicherin. Der Film war somit eher am deutschsprachigen als am tschechischen Markt ausgerichtet. Die tschechische Presse kritisierte also nicht, dass die Hauptdarstellerin nackt zu sehen war, sondern dass sie keine Tschechin war.

Aufgeregter als in Prag ging es am 18. Februar 1933 bei der Erstaufführung in Wien zu und her, wie Neugierige am folgenden Tag in der Reichspost lesen konnten:

«Das an allerhand gewöhnte Wiener Publikum nahm die Darbietung des Films nicht stillschweigend hin. Im Stafakino kam es zu stürmischen Missfallenskundgebungen, die sich im Ufatonkino zu regelrechten Tumulten steigerten. Die Vorstellung musste mehrmals unterbrochen werden und schliesslich wurde von der Kinoleitung Polizei gegen die Ruhestörer’ zu Hilfe gerufen.»
Reichspost, 19. Februar 1933, zit. n. Garncarz 2001

Der Journalist der Reichspost machte teilweise auch die Werbung für die Zwischenfälle verantwortlich. Diese hätte den Film unter anderem als «erotisches Spiel ungehemmter Naturtriebe» angepriesen und so die Stimmung im Vorfeld aufgeheizt.

Der Ehebruch einer Frau muss verurteilt werden

In der Folge passten Filmbehörden in verschiedenen Ländern den Film an. Die Nackt- und Sexszenen waren aber nicht der einzige Grund für die Änderungen. Vielmehr irritierte laut dem Medienwissenschaftler Joseph Garncarz, dass die Handlung nicht den Darstellungsformen der Sexualität entsprach, die bei der Entstehung des Films üblich waren. Sexualität sollte nicht zu offen gezeigt werden. Ein Ehebruch war in der Gesellschaft ohnehin nicht akzeptiert. Komplett inakzeptabel war es aber, wenn die Initiative dazu von einer Frau ausging. Für den Fall, dass in einem Film dennoch eine aussereheliche Beziehung gezeigt wurde, sollte diese zumindest als illegitim dargestellt werden. Wie Garncarz aufzeigt, verletzte der Film «Ekstase» alle diese Darstellungskonventionen: Er zeigte aussereheliche sexuelle Handlungen, initiiert von einer Frau, verurteilte diesen Bruch mit der gesellschaftlichen Etikette aber nicht.

Damit den Zuschauenden dieses Verhalten nun nicht einfach im Kino als «akzeptabel» präsentiert wurde, änderten Filmbehörden verschiedene Szenen ab. Die neuen Versionen entsprachen dem Moralempfinden und den Darstellungsformen im jeweiligen Land. In den USA schnitten die Zensurbehörden 1936 beispielsweise die Szenen der nackten Eva aus dem Film heraus. Den Verlauf der erzählten Geschichte änderten sie aber nicht. Hier störte die Darstellung des nackten weiblichen Körpers und der sexuellen Lust einer Frau. Durch die filmischen Anpassungen konnte dieses Tabu in US-amerikanischen Kinos aufrechterhalten werden.

Eine moralisch akzeptablere Version

Noch weiter ging die Filmprüfstelle in Berlin. Nach dem Skandal bei der Erstaufführung in Wien lehnte sie eine Zulassung des Films am 20. Februar 1933 ab: 

«Trotz geschickter filmischer Einzelheiten wird jede ernste Diskussion [durch einige Szenen] (die dem Bad entstiegene Frau, die ihr Pferd verfolgt und den Ingenieur kennenlernt, und die Liebesszene in der Gewitternacht) unmöglich gemacht, die gröbste Spekulation auf mindere Instinkte und eine einzige Geschmacklosigkeit darstellen. Infolge dieser Szenen unbedingt abzulehnen.»
Berliner Filmprüfstelle zum Zensurentscheid vom 20.2.1933

Der deutsche Bearbeiter musste aber nicht nur die «anstössigen» Szenen herausschneiden, sondern auch den Handlungsverlauf ändern. Die Anpassungen sollten, so Garncarz, die Geschichte moralisch akzeptabler machen: Eva lässt sich von ihrem Ehemann scheiden, bevor sie mit dem Ingenieur schläft. Ausserdem stirbt ihr Exmann nicht aufgrund von Suizid, sondern durch ein Herzversagen. Schliesslich erhält die neue Liebesbeziehung ein Happy End, die frisch Verliebten bleiben als glückliche Familie vereint.

Von «Ekstase» zu «Symphonie der Liebe», von «Adam» zu «Paul»

Diese Änderungen lenkten die Handlung des Films aus Sicht der Filmprüfstelle in moralisch annehmbare Bahnen: Eva begeht keinen Ehebruch, sie trägt keine Schuld am Tod ihres Exmanns und strebt eine ernsthafte Beziehung mit ihrem neuen Partner an. Auch der Titel wurde abgeschwächt. Nicht mehr die «Ekstase» steht im Mittelpunkt, sondern eine «Symphonie der Liebe». Symphonie – da stellt man sich einen Abend im Konzerthaus mit klassischer Musik vor, eine salonfähige Abendbeschäftigung des Bürgertums. Ekstase jedoch deutet auf eine Abweichung vom als «normal» geltenden, bürgerlich zurückhaltenden Verhalten hin. 

Derart angepasst gab die Filmprüfstelle den Film am 4. Oktober 1934 mit Jugendverbot in Deutschland frei. Die Uraufführung der neuen Version fand am 8. Januar 1935 in Berlin statt. Jedoch wurde der Film kurze Zeit später wieder verboten und aus den Kinos genommen. Die Gründe dafür sind nicht abschliessend geklärt. Der Filmkritiker Stefan Volk sieht einen möglichen Anlass dafür in der jüdischen Herkunft des Regisseurs Gustav Machatý sowie der Hauptdarstellerin Hedy Kiesler. Bereits in der deutschen Überarbeitung des Films findet sich ein Hinweis auf den zunehmenden Antisemitismus im nationalsozialistischen Deutschland. In dieser Version hiess der Ingenieur nicht mehr Adam, ein ursprünglich hebräischer Name, sondern Paul. 

Die selbständige Frau irritiert

Die deutsche Fassung des Films macht deutlich, dass dort nicht die Darstellung eines weiblichen Orgasmus an sich problematisch war, sondern vielmehr der Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen. Der ursprüngliche Film aus Tschechien zeigt eine eigenständige Frau, die Entscheidungen für ihr persönliches Wohl trifft. Sie verlässt ihren Ehemann, der ihr keine Aufmerksamkeit und Liebe schenkt. Sie sucht sich einen Liebhaber, der sie anhimmelt. Doch sie verlässt ihn auch wieder und bleibt allein mit ihrem Kind. So entspricht sie in keiner Weise dem geltenden Ideal einer kleinbürgerlichen Hausfrau und Mutter. Eva verhält sich aktiver als die männlichen Figuren im Film. Dadurch nimmt sie eine Position ein, die zu dieser Zeit im Film und im alltäglichen Leben normalerweise einem Mann zugeschrieben wurde.

Hinter dem Aufruhr um den Film «Ekstase» steckte also mehr als bloss die Empörung über zu freizügige Szenen. In den Reaktionen des Publikums und der Filmprüfstellen entdecken wir gesellschaftliche Konventionen, mit denen die filmisch erzählte Geschichte zu brechen versuchte. Im Mittelpunkt dieser Geschichte steht eine starke Frau, die ein Leben ausserhalb gesellschaftlicher Zwänge führen möchte.

Ekstase im Kinosessel

Der Aufruhr um den Film «Ekstase» lässt sich noch von einer anderen Seite her verstehen. Der Kultur- und Medienwissenschaftler Johannes Binotto zeigt auf, dass das Kino bereits bei seinem Aufkommen in den 1910er-Jahren Skepsis hervorrief. Offenbar gingen die Ärzte damals davon aus, dass Filme schauen den Menschen psychischen Schaden zufügen könnte. Solche Ängste scheinen uns aus heutiger Sicht wohl fremd. Wenn wir uns aber in das Setting des Kinos hineinversetzen, können wir diese Vorstellung vielleicht nachvollziehen: Während wir in einem dunklen Raum sitzen, sind wir strahlenden Bildern und durchdringenden Klängen ausgesetzt. Moderne Technologien treiben diesen Zustand noch weiter. In einem 3D-Film hat man das Gefühl, sich mitten in der Handlung zu befinden. In einem 4D-Film wird man sogar auf dem Kinosessel selbst durchgeschüttelt, wird nass oder von Nebel eingehüllt, nimmt Gerüche wahr. Solche Methoden können Filmemachende dabei unterstützen, Ekstase nicht nur filmisch darzustellen, sondern sie gleichzeitig auf die Zuschauenden zu übertragen. Dadurch kann das Kino auch in Zeiten von Netflix noch seine Attraktivität behalten.

Literatur

Binotto, Johannes: Im Rausch der Sinne. Kino als Ekstase, Transferences, Mai 2019, <https://​schnittstellen​.me/​a​r​t​i​k​e​l​/​k​i​n​o​-​a​l​s​-​e​k​s​tase/>, Stand: 30.03.2022.

Garncarz, Joseph: Ekstase ohne Ende. Variationen eines Films, in: Loacker, Armin (Hg.): Ekstase, Wien 2001, S. 147 – 190.

Jung, Uli: Am Ende überwiegt der falsche Mythos. Zur Rezeption von Ekstase, in: Loacker, Armin (Hg.): Ekstase, Wien 2001, S. 71 – 113.

Kandioler, Nicole: Symphonie der Liebe. Extase (1933), in: Kandioler, Nicole; Petersen, Christer; Steinborn, Anke (Hg.): Klassiker des tschechischen und slowakischen Films, Marburg 2018, S. 13 – 21.

Koebner, Thomas: Furor und Entrückung. Zu Abbildungen der Ekstase im Film, in: Koebner, Thomas (Hg.): Ekstase, München 2012, S. 137 – 160.

Liebrand, Claudia; Steiner, Ines: Montierte Geschlechter. Montageverfahren und gender-Performanzen in Gustav Machatýs Ekstase, in: Loacker, Armin (Hg.): Ekstase, Wien 2001, S. 191 – 242.

Volk, Stefan: Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute, Marburg 2011.

Quellen

Reichspost, 19.02.1933, zitiert nach Garncarz, Joseph: Ekstase ohne Ende. Variationen eines Films, in: Loacker, Armin: Ekstase, Wien 2001, S. 161.

Berliner Filmprüfstelle zum Zensurentscheid vom 20.2.1933. Veröffentlicht in: Mitteilungen des deutsch-österreichischen Jugendbundes, Nr. 36, 1933, S. 4, zitiert nach Volk, Stefan: Skandalfilme. Cineastische Aufreger gestern und heute, Marburg 2011, S. 84.

Links

Der ganze Film «Ekstase» 1933 auf Vimeo: https://​vimeo​.com/​99946740

Zu Christina Nanz

Christina Nanz studiert im Master Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung an der PH Luzern und der Universität Freiburg. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Erinnerungskulturen sowie der osteuropäischen Geschichte.