Strassburg im Jahr 1518. Bis zu 400 Menschen tanzen in ihren Häusern, auf Strassen und Plätzen. Aber es gibt keine Musik und nichts zu feiern, ganz im Gegenteil: Sie sind von der Tanzwut ergriffen und tanzen unfreiwillig bis zur völligen Erschöpfung.
«Da erhub sich ein dantz von iungen und alten leutten, die tantzten tag und nacht, dass sie nider fielen, also dass über 100 zu Strassburg auff einmal tantzten. […] [Man] bestellte eigene leutt umb lohn, die mussten stets mit ihnen, tantzten mit trummen und pfeiffen; es half alles nichts. Viel tantzten sich zu tode.»
Mit diesen Worten beschreibt Daniel Specklin in der Chronik von Strassburg um 1587 ein Phänomen, das wir heute als Tanzwut bezeichnen: Menschen, die allein oder in Gruppen ohne erkennbaren Anlass zu tanzen begannen – wie unter Zwang und so lange, bis sie erschöpft zusammenbrachen oder gar starben. Verschiedene historische Quellen berichten von diesen Ereignissen, die uns heute vermutlich seltsam erscheinen. Forscher*innen befassen sich bis heute mit dem Thema. Was ging da vor sich? Wie kam es dazu, dass sich Menschen zu Tode tanzten? Und wie ging die restliche Bevölkerung mit den Tanzwütigen um?
Ein bekanntes Beispiel ist die Tanzwut in Strassburg im Jahr 1518. Unterschiedliche Schriften überliefern diese Geschichte. Auch Specklin erzählt in seiner Chronik von diesem Ereignis. Am 14. Juli 1518 begann der Tanz mit einer einzelnen Frau. Paracelsus (1493−1541), ein Schweizer Arzt, Philosoph und Mystiker, nennt sie Frau Troffea. Nach seinen Erzählungen trat Frau Troffea an diesem Tag ohne ersichtlichen Grund vor ihre Tür, begann zu tanzen und hörte nicht mehr damit auf. Ab und zu brach sie vor Müdigkeit zusammen und schlief für einige Stunden, nur um nach dem Aufwachen ihren Tanz wieder fortzusetzen. Um sie herum bildete sich eine immer grösser werdende Schar von Schaulustigen. Diese munkelten zunächst, dass Frau Troffea wohl ihren Mann bestrafen wolle. Nichts ärgere ihn mehr als ausschweifendes Tanzen. Oder wie es Paracelsus beschreibt:
«[…] so hupfft sie vnnd sprang auff/sang vnnd lälet/vnd was dem Manne am vbelsten gefiel: Vnnd nach außgang des tantz/so fiel sie nieder/dem Manne zuleidt/zablet eine weil/vnnd schlieff darnach.»
Doch als Frau Troffea immer weiter tanzte, sie wahrscheinlich mit blauen Flecken und Wunden übersäht war, kamen die Schaulustigen zum Schluss, dass dies kaum mehr etwas mit Rache gegen den Mann zu tun haben konnte. Viel eher musste dieser Tanz eine Bestrafung Gottes oder vielleicht ein Werk des Teufels oder einer bösartigen Hexe sein. Da Frauen zu jener Zeit als moralisch und geistig schwächer galten, lag es nahe, sie einer dämonischen Besessenheit zu bezichtigen, so der Historiker John Waller.
Nach einiger Diskussion kamen die Stadtbewohner*innen zum Schluss, dass Frau Troffea wohl von einem Heiligen aus dem Himmel bestraft wurde, namentlich vom Heiligen Vitus. Im mittelalterlichen Europa war die Heiligenverehrung weit verbreitet. Wenn die Bewohner*innen von Strassburg etwa krank waren, tranken sie Wasser aus der Quelle der Heiligen Odilia. Gegen die Pest beteten sie zum Heiligen Sebastian, zur Heiligen Barbara bei Gewitter. So ist es nicht überraschend, dass die Stadtobersten anordneten, Frau Troffea zur Kapelle und Grotte des Heiligen Vitus in der Nähe von Saverne zu bringen, einem Städtchen im Elsass. Dort sollte sie mit Hilfe des Heiligen von ihrer Tanzwut auch wieder geheilt werden. Ob das funktioniert hat und was mit Frau Troffea danach geschah, wird leider in keiner Quelle mehr beschrieben.
Zu diesem Zeitpunkt aber hatten sich bereits viele andere in Strassburg dem Tanz angeschlossen. Wie viele können wir heute nicht mehr mit Sicherheit wissen. Manche Quellen sprechen davon, dass die «Krankheit» bis zum 25. Juli bereits 50 Menschen befallen hatte. Später sollen es bis zu 400 gewesen sein, die – allein oder in Gruppen – in ihren Häusern oder auf den Strassen und Plätzen unentwegt tanzten. Diese Tänze scheinen keine fröhlichen Tänze gewesen zu sein, es wurde von Schmerzen und psychischen Qualen berichtet. Die Stadtobersten ordneten an, die Hallen der Stadt leerzuräumen, um darin die Menschen tanzen zu lassen. Auf dem Markplatz errichtete man eine Bühne, wo mit Trommeln, Flöten und Pfeifen musiziert wurde. Andere Menschen reichten den Tanzwütigen, die immer wieder zusammenbrachen, Getränke und Essen. Verängstigte Leute verteilten Münzen und Wein, in der Hoffnung, die Tanzenden dadurch von der Plage zu befreien. Starke Frauen und Männer wurden bezahlt, um mit den Tanzwütigen mitzutanzen und diese zu stützen, damit es nicht zu schweren Verletzungen kam. Hinter diesen Reaktionen lag wahrscheinlich die Vorstellung, dass der Tanz nicht nur ein Zeichen von Krankheit war, sondern gleichzeitig auch die Therapie davon: Die Krankheit sollte herausgetanzt werden. Allerdings erwies sich diese Strategie als nicht hilfreich, ganz im Gegenteil: Immer mehr Menschen wurden von der Tanzwut ergriffen. Und während die Bevölkerung noch auf Besserung hoffte, begannen die ersten tanzwütigen Menschen an Erschöpfung und Schwäche zu sterben.
«Die Wallfahrt der Fallsüchtigen nach Meulebeeck» stellt eine Tanzwut dar, die in Belgien stattgefunden haben soll. Der Kupferstich von Hendrik Hondius (1573 – 1649) geht auf eine Zeichnung (1564) von Pieter Bruegels des Älteren zurück. (Wikimedia Commons)
Als die beschriebenen Massnahmen gegen die Tanzwut misslangen, erliess die Stadt eine Reihe von neuen Gesetzen. Weil sich zunehmend Bettler*innen unter die Tanzwütigen mischten, um von den geschenkten Lebensmitteln und Gaben zu profitieren, wurden die Bettelnden mit den Prostituierten und den anderen «Unzüchtigen» kurzerhand aus der Stadt verbannt. Wer tanzte, wurde mit Strafen bedroht, Musik wurde verboten. Tanzwütige und ihre Familien wurden in ihre Häuser verwiesen, aus Angst sie könnten jemanden anstecken. Als sich aber Anfang August trotz der neuen Erlasse keine Besserung eingestellt hatte, schickten die Stadtobersten eine Gruppe von Handwerker*innen nach Saverne. Dort sollten sie dem Heiligen Vitus eine neue Kapelle errichten.
Gleichzeitig wurden Angehörige dazu motiviert, mit den Tanzwütigen nach Saverne zu reisen, wie es die Obersten zuvor auch mit Frau Troffea getan hatten. Die Übriggebliebenen wurden in den Strassburger Strassen aufgesammelt und eng auf Wagen verfrachtet, um sie dann zur neuen Kapelle zu fahren. Dort erhielten alle Tanzwütigen erst einmal rote Schuhe. Diese Massnahme ist erstaunlich, da es sehr teuer gewesen sein musste, für so viele Menschen Schuhe zu beschaffen. Zudem war Rot eine überaus kostspielige Farbe. Wir können also davon ausgehen, dass die roten Schuhe nicht zufällig gewählt wurden. Eine Erklärung mag in der Legende des Heiligen Vitus liegen. Sie erzählt davon, dass dieser barfuss in einen Topf mit heissem Öl gestellt wurde. Demnach zeigten seine Heiligendarstellungen oft einen Topf mit glühendroten Flammen. Vielleicht erinnerten die hastigen Bewegungen der Tanzenden an den Versuch, ihre Füsse vor Verbrennungen zu bewahren.
Die roten Schuhe der Tanzwütigen besprenkelte man mit Weihwasser und versah sie oben und unten mit Kreuzen aus dem Salböl Chrisam. Danach wurden die Menschen um den Altar geführt und sie mussten einen kleinen Betrag spenden. Für jene, die die Münze nicht selbst aufbringen konnten, wurde diese bezahlt. Ausserdem wurde eine Messe gehalten:
«Do schickte man sie hinder Zabern zu St. Veit, zom holen stein, auff waegen; da gab man ihnen creutzle und rothe schuh, und macht mess über sie. An den schuhen war unten und oben creutz mit dem chrisam gemacht und mit weyhwasser besprengt in St. Veits nahmen, dass halff ihn vast allen.»
Laut Specklin half die Reise nach Saverne fast allen Tanzwütigen, sie waren geheilt. Wenn auch nicht über Nacht, so kam die Tanzwut in Strassburg langsam zum Stillstand. Ende September 1518 hob die Stadt das Tanz- und Musikverbot wieder auf.
Dieses Bild von einem*einer unbekannten Künstler*in entstand ungefähr im Jahr 1450 und zeigt den Heiligen Vitus in einem Topf mit heissem Öl. (Gemeinfrei, Kollektion Nationalmuseum Warschau)
Bis heute ist nicht geklärt, was die Ursachen der Tanzwut in Strassburg und in anderen Städten waren. Im Laufe der Zeit wurden verschiedenste Erklärungsansätze entwickelt — und auch wieder verworfen. Während manche Ärzt*innen von Strassburg zur damaligen Zeit davon ausgingen, dass die Tanzwut durch überhitztes Blut entstand, versuchten andere die sonderbare Krankheit anhand der Sterne zu begründen. Paracelsus hingegen war zunächst der Meinung, Frau Troffea habe sich ihre Krankheit nur ausgedacht, um sich gegen ihren Mann aufzulehnen. Um ihn zu kränken, hüpfte sie und sprang und hielt ihn dadurch zum Narren. Weitere Frauen hätten sich ihr Verhalten schliesslich abgeschaut.
Manche gegenwärtige Autor*innen schliessen aus den historischen Schilderungen, dass es sich bei der Tanzwut um eine Vergiftung handeln musste. Unter Verdacht haben sie das Mutterkorn, eine Art von Schimmelpilz, der auf Roggen und anderem Getreide gedeiht. Der Verzehr des giftigen Pilzes kann von Durchblutungsstörungen, Halluzinationen, Zuckungen bis hin zum Tod führen. Es ist aber fraglich, ob die Symptome einer solchen Vergiftung tatsächlich mit den vermutlich eher rhythmischen Bewegungen der Tanzenden übereinstimmen. Aus dem gleichen Grund lässt sich wahrscheinlich auch Epilepsie als Ursache ausschliessen. Epilepsie betrifft ausserdem nur einzelne Personen und ist nicht ansteckend.
Waller sieht in der Tanzwut eine Reaktion auf das Elend in dieser Zeit. Die Menschen litten unter Hunger, Krankheiten und Sorgen. Frauen aus bescheidenen Verhältnissen, wie vermutlich auch Frau Troffea, besetzten einen tiefen Status innerhalb der Gesellschaft. Oft wurden sie bereits im Jugendalter mit einem älteren Mann verheiratet, waren Schlägen und sexueller Gewalt ausgeliefert. Aus heutiger Forschung wissen wir, dass schwer belastete oder traumatisierte Menschen teilweise mit Verhaltensweisen wie anhaltender Müdigkeit, Lähmungen, zwanghaften Bewegungen oder spontaner Trance reagieren. Personen in Trancezuständen haben ein verzerrtes Zeit- und Raumempfinden, sind oft beeinträchtigt im rationalen Denken und relativ schmerzunempfindlich. Dieser Zustand würde erklären, warum die Tanzwütigen über Tage oder Wochen, trotzt blutender Wunden und geschwächter Körper, nahezu ununterbrochen tanzten. Nach Waller reagieren Menschen aber auch in Situationen, die von Kontrollverlust geprägt sind, häufig auf kulturell vorgegebene Weise. Deshalb hätten die Menschen in Strassburg getanzt und nicht geschrien, geweint oder gekämpft: Ihre Welt war geprägt von Frömmigkeit, Heiligenverehrung und dem Zorn Gottes. In dieser Welt reagierten sie mit Tanz auf Verzweiflung und Angst – und konnten vom Heiligen Vitus auch wieder geheilt werden.
Ein anderer Historiker, Gregor Rohmann, hält es nicht für möglich, die Tanzwut mit unserem heutigen Verständnis von Medizin und Psychologie völlig zu verstehen. Wir sind stark davon beeinflusst, das Mittelalter als dunkel und irrational zu betrachten. Tanzwut sei weder Hysterie noch Wahnsinn, sondern eine Auseinandersetzung mit den antiken Mythen, verschiedenen Tanzpraktiken und der eigenen Religiosität. Hier sieht er auch eine Verbindung zum Heiligen Vitus: Ihm wurde nachgesagt, den Übergang von Erde und Himmel zu bewachen. Er steht sozusagen an der Schwelle. So sei auch der Tanz ein Schwellenzustand, in welchem unklar ist, ob man nun Gott besonders nah oder fern ist: Der unfreiwillige Tanz verkörpert nach dieser Interpretation die damalige Heilsunsicherheit der Menschen. Rohmann nennt uns also keine genaue Ursache der Tanzwut. Er zeigt aber wie Waller auf, dass solche Phänomene nicht aus dem Nichts entstanden. Die Tanzwut war in einen spezifischen historischen Kontext eingebettet und hing mit damaligen Ideen und Vorstellungen zusammen. Die Menschen sind, je in ihrer Zeit, immer auch durch diesen Kontext beeinflusst.
Wie die Tanzwut damals genau aussah, lässt sich heute anhand der Quellen nur noch erahnen. Wir können nicht genau wissen, was Frau Troffea und andere Betroffene dazu brachte und warum die restliche Bevölkerung so und nicht anders reagierte. Die überlieferten Quellen und die historische Forschung öffnen uns aber ein Fenster, um ein Phänomen näher zu verstehen, das uns heute vielleicht absurd, sicher aber fern erscheint.
Die Tanzwut ist unter verschiedenen Namen bekannt, unter anderem unter Johannestanz, chorea oder Veitstanz. Der Begriff Veitstanz ist eine Ableitung des Namen Vitus. Seit dem 19. Jahrhundert ist Tanzwut der gängige Begriff im deutschsprachigen Raum, in Englisch dancing mania. Wir können davon ausgehen, dass verschiedene Phänomene mit unkontrollierten Körperbewegungen als Tanzwut bezeichnet wurden. Eine ähnliche Erscheinung in Süditalien, bei der Menschen ebenfalls zwanghaft tanzen, ist unter dem Namen Tarantismus bekannt. Beim Tarantismus nahm man zunächst an, dass ein Spinnenbiss den Tanz ausgelöst hat.
Das Zitat über die Tanzwut in Strassburg von Daniel Specklin stammt ursprünglich aus seiner sogenannten Collectanea, einer historischen topografischen Chronik über das Elsass. Er arbeitete schon länger für die Stadt Strassburg als Stadtplaner, Ingenieur und Kartograf. In seiner Chronik wollte er zum einen Städte und bedeutende Gebäude wie Kirchen und Klöster aufnehmen, zum anderen über die Ereignisse im 16. Jahrhundert im Elsass berichten. Specklin legte die Entwürfe seiner Chronik 1587 dem Stadtrat vor, welcher verschiedene Verbesserungen verlangte. Diese Überarbeitung konnte Specklin aber nicht mehr abschliessen, da er 1589 verstarb. Das Manuskript kam über Umwege in das Stadtarchiv und wurde 1866 durch einen Brand stark beschädigt. Erst 1879 wurden die restlichen Manuskriptfragmente durch den Historiker Rodolphe Reuss wieder zusammengestellt und schliesslich 1890 veröffentlicht. Aus dieser Veröffentlichung haben wir Specklin zitiert. Dabei müssen wir bedenken, dass Chroniken dieser Zeit nicht unseren heutigen Ansprüchen einer historischen Geschichtsschreibung entsprechen.
Fischer, Albert: Daniel Specklin aus Strassburg (1536−1589). Festungsbaumeister, Ingenieur und Kartograph, Sigmaringen 1996.
Rohmann, Gregor: Tanzwut. Kosmos, Kirche und Mensch in der Bedeutungsgeschichte eines mittelalterlichen Krankheitskonzepts, Göttingen 2013.
Waller, John: A Time to Dance, A Time to Die. The Extraordinary Story of the Dancing Plague of 1518, London 2009.
Specklin, Daniel: Les collectanées de Daniel Specklin, chronique strasbourgeoise du seizième siècle. Fragments recueillis par Rodolphe Reuss, Strasbourg 1890.
Weeks, Andrew (Hg.): Paracelsus (Theophrastus Bombastus von Hohenheim, 1493 – 1541). Essential Theoretical Writings, Leiden 2008.
Melissa Solothurnmann studiert im Master Religion in globaler Gegenwart an der Universität Bern. Zuvor hat sie den Bachelor in Theologie mit Nebenfach Ethik an der Universität Luzern abgeschlossen.